Herbert "Berto" Bornand

Von Ste. Croix nach Strasbourg

Ich wurde am 17. September 1903 in Ste. Croix, in der Hauptstadt der Musikdosen geboren. Als ich sechs Jahre alt war, begann ich, ein wenig Klavier zu spielen. Ich hatte kleine Hände und wäre dadurch nie ein grosser Pianist geworden. Als ich neun Jahre alt war, sprach meine Grossmutter bei der Heilsarmee vor, wo man mir ein Baritonhorn überreichte, auf dem ich üben konnte. Später bekamen wir zuhause ein Klavier. Meine Schwester war in den USA und schickte mir neues Notenmaterial. Darunter befanden sich viele Stücke, die ich auch später noch bei meinen Engagements gespielte habe. Nach Beendigung der Schule, also im Alter von sechzehn Jahren, ging ich mit einem Freund nach Strasbourg und konnte dort in einer Bar Klavier spielen. Dies war kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges. Noch immer waren amerikanische Soldaten - GIs - in Frankreich stationiert, denn die ehemalige Frontlinie am Rhein lag sehr nahe. Die GIs kriegten von daheim Notenhefte mit den damals aktuellen Tagesschlagern zugeschickt. Einige dieser Stücke habe ich bis zum Ende meiner Musikerlaufbahn unter anderem an Jam Sessions gespielt. Ich erinnere an die Titel "Charleston", "Wabash Blues", "The Sheik Of Araby", "Smile", "Sweet Sue", "Tiger Rag", "Basin Street Blues", "Somebody Stole My Gal", "Whispering", "I Got Rhythm", "Swanee", "Say It With Music", "Dance Mania", "Kitten On The Key", "Yes Sir, That's My Baby", "Honeysuckle Rose", "St. Louis Blues", "Indiana" und "Cherokee".

Unter den GIs befanden sich weisse und auch farbige Soldaten. In der Bar herrschte oft eine ausgelassene Stimmung, viele der Amerikaner haben mitgesungen wenn ich spielte. Gelegentlich gab es auch Jam Sessions, je nachdem welche Truppenteile nach Strasbourg verlegt wurden. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang nur an die zwei Namen Robert und Lee...
Ich hatte recht guten Erfolg, sodass mich der Manager des Hotels "Maison Rouge" fragte, ob ich gegen Bezahlung noch eine Weile bleiben möchte. Ich berichtete meinem Vater, ich hätte jetzt eine Arbeitsstelle gefunden. Er war damit einverstanden, dass ich dieses Angebot annehme, meiner Mutter passte dies nicht so recht, sie weinte deswegen sogar.

Erstes professionelles Engagement

Nun reiste ich nach Basel, um mir mein "Zeugs" - Kleider und so - abzuholen, welches mein Vater dorthin gebracht hatte. Dann begann ich im Januar 1919 in Strasbourg mit meinem ersten professionellen Engagement, das in der Folge ganze drei Jahre dauern sollte. In Strasbourg habe ich nebenbei auch angefangen, auf der Posaune zu üben.
Nach Ablauf dieses Engagements reiste ich in die Schweiz zurück und ging danach nach Lausanne. Im Jahr 1924 tat ich mich mit Edmond Cohanier zusammen und wir beide reisten zusammen nach Paris. Ich bekam bald einmal Jobs als Klavierspieler im Dancing "Caveau Caucasien", im "La Fonda", in der "Pigalle Bar", im "Le Jockey". Auch konnte ich für eine ganze Saison im "Royan" in Bordeaux arbeiten. In der Freizeit widmete ich mich vermehrt der Posaune und studierte bei Professor La Fosse (?). Hinterher entschied ich mich dann endgültig für die Posaune als Hauptinstrument.
Im September 1925 reiste ich mit "Hanlon & Zambon" (?), zwei Tänzern von Weltklasse, mit einem amerikanischem Orchester nach Deutschland, wo auch der Baritonsaxophonist Danny Polo mitwirkte. Polo hatte auf seinem Instrument eine unerhörte Sonorität, etwa vergleichbar mit Harry Carney bei Duke Ellington. Wir traten im "Wintergarten" in Berlin auf. Viele Leute kamen damals nur um Danny Polo zuzuhören! Dort spielte auch eine ernstzunehmende Konkurrenzband aus Holland, die Chocolate Kiddies.

Arbeit in Deutschland

Dann bekam ich den Auftrag ein Orchester aufzustellen. Ich liess zwei bis drei Musiker aus der Schweiz kommen, unter anderem Jean Leonardi. Bis ins Jahr 1932 arbeitete ich bei verschiedenen Orchestern in Deutschland, so etwabei Dajos Belas, Marek Weber, Nettelmann, Julien Fuchs (?) und Ed Dittke. Gleichzeitig wirkte ich bei vielen Schlager-Platteneinspielungen mit, etwa für die Marke Lindström. Ich erinnere mich noch an die Titel "Die drei von der Tankstelle", "Zwei Herzen im Dreivierteltakt", "Express". Für Richard Tauber nahm ich "Dein ist mein ganzes Herz" auf. In München spielte ich mit Jo Bund für die Plattenmarke Emelka. In Deutschland nahm ich jedenfalls weit mehr Platten auf, als ich später in der Schweiz mit dem Orchester von Bob Engel machen konnte!
Ich schrieb auch Arrangements für die Filmgesellschaft UFA. Die Tonfilme wurden in drei Fassungen hergestellt: Deutsch, Französisch und Italienisch. Waren die Bilddekors fertig, dann kamen in der Reihenfolge die für die Szenen vorgesehenen Sänger und Darsteller hinzu. Dabei erinnere ich mich noch an eine amüsante Begebenheit: Für die französische Fassung eines Filmes war eine Sängerin aus Nizza engagiert, die das Lied "Villa Nueva" interpretieren sollte, welches anfing mit "J'ai vu passer l' hirondelle..." Die Tonart war aber der Sängerin nicht angepasst, und es mussten mehrere "Takes" gemacht werden, bis es endlich klappte. Ein Witzbold flüsterte ihr ein: "Fais attention tu va pisser la rondelle au lieu de passer "... "Hör auf", sagte die Sängerin, "das wäre furchtbar". Doch er hämmerte ihr diesen abgeänderten Satz so ein, dass sie ihn schliesslich sang. Der Aufnahmeleiter hatte von alledem nichts bemerkt, er sagte: "ausgezeichnet"! Wir hingegen hatten Bauchschmerzen vor Lachen.
Bei der Vorführung des Films im Kino Zoo waren alle Beteiligten anwesend. Der besagte Witzbold sagte zur Sängerin: "Hörst du, tu as chanté: "j'ai vu pisser ...". Die arme Frau wurde ohnmächtig! Die Mundstellung ist für die Vokabeln "a" oder "i" etwa dieselbe; 50 Millionen Franzosen haben das Lied gehört und keiner hat die Sache bemerkt, ausgenommen die daran beteiligten Musiker!


Ensemble Caffa, "Maxim", Genf, 1932. V.l.n.r: Berto Bornand, Morris Einhorn, André Mégevand, Max Oberlé, vermutlich Mr. Caffa, Jo Grandjean.
Rückkehr in die Schweiz - Bob Engel

Im "Fürstenhof" in Müchen spielte übrigens auch der damals in der Schweiz bekannte Lladis Illaraz. Aber später lief es bezüglich Arbeit in Deutschland nicht mehr so gut. Ich war noch in München, als ich für das"Maxim" in Genf engagiert wurde: Im Dezember 1932 kehrte ich in die Schweiz zurück und trat einer Band unter der Leitung von Herrn Caffa bei. (1, 2)
Um jene Zeit wurde in der Schweiz ein Importstopp für amerikanische Musikalien verfügt. Das Radio litt darunter, denn es konnte keine Platten mit neuen Musikstücken mehr spielen. Das Radio musste Orchester engagieren, und das war der Grund, weshalb Bob Engel den Auftrag erhielt, ein Ensemble zusammenzustellen, welchem ich als Posaunist, Arrangeur und später auch als musikalischer Leiter beitrat.
Ensemble Bob Engel, ca 1937, V.l.n.r: Berto Bornand, Billy White, André Mégevand, Joe Grandjean, Rudi Dunkel, Bob Engel (hinten), Léon Bertschy, Louis Rey, Bernard Kofman, Gerard Monod, Jean Leonardi.
Das fehlende Notenmaterial wurde von uns durch Transkribieren von Stücken aus britischen Radiosendungen beschafft. Jedermann kam dabei auf seine Rechnung: das Radio, die beteiligten Musiker, aber auch die Komponisten, weil ihre Stücke jetzt aufgeführt und gesendet werden konnten. Der grossorchestrale Jazz in unserem Lande wurde also unbewusst in Berner Juristenköpfen begründet und gefördert!
Mit Bob Engel gaben wir auch auswärts Jazzkonzerte, unter anderm in Basel, Bern, auch im "Kongresshaus-Saal" in Zürich. Wir machten auch eine Tournee mit dem Komiker und Schauspieler Fernandel.
Bei Bob Engel blieb ich Mitglied bis am 1. September 1939, dann übernahm ich als offizieller Leiter das Orchester. Der Name Bob Engel wurde seiner Popularität wegen trotzdem beibehalten. Ich leitete das Orchester bis Ende Februar 1947, als wir dann endgültig damit aufhörten.(4, 5)

Hören Sie hier
Bugle Call Rag, gespielt vom Orchester Bob Engel am 30. 11. 1939. Das Arrangemnt stammt von Herbert Bornand.


Immer jazzig

Anschliessend gab ich den Beruf als Musiker auf und trat als Mitarbeiter bei der SUISA ein. Meiner Kenntnisse im Aufnahmebereich wegen wurde mir die Bearbeitung der mechanischen Aufführungsrechte übergeben, die der Leitung von Vizedirektor Kundert unterstand. Später wurde ich zum Prokuristen befördert und in die SYSAG aufgenommen. Nach einer gewissen Zeit trat ich in die Abteilung für Filmrechte über, später zur Abteilung für Schallplatten und Fernsehen, und ganz am Schluss meiner Laufbahn war ich zuständig für die gesamte Publizität. Bei der SUISA arbeitete ich bis im Jahr 1973 und trat dann im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand.

Partie des Ensemble Bob Engel, ca. 1938. V.l.n.r.: ... Hinrich, (tp); Berto Bornand , Gérard Monod.
Was nun meine Musik anbelangt: Ich versuchte immer, "jazzig" zu spielen, auch bei Liedern, Sketches, Parodien, wo es ums Lachen ging. (3) Wir kamen damit beim Publikum gut an, denn wir hatten nicht nur Erfolg mit Jazz, sondern auch mit Musik aus vielen anderen Bereichen. Die veröffentlichte "jazzige" Aufnahme auf der CD-Anthologie "Jazz In Switzerland" betrachte ich deshalb als nicht repräsentativ für das eher auf Unterhaltung ausgerichtete Wirken des Orchesters, ich hätte an dessen Stelle eher die typische Nummer "Le Chant des Binious" darauf gehabt! Meine musikalischen Vorbilder? Unter den vielen guten Posaunisten war Jack Teagarden mein absoluter Favorit !

Interview: Aleardo Buzzi und Otto Flückiger (20. März 1996) Mitarbeit Frank Erzinger (Ergänzungen), Ewald Kaeser (Korrekturen), Armin Büttner (elektronische Bearbeitung). Weiterführende Angaben über das Orchester Bob Engel/Berto Bornand werden in der Rubrik "Chronologien" veröffentlicht

Anhang

I. Auszüge aus Publikationen und Interviews zu Berto Bornand

(1) "Jazz Tango" März 1932: "Notre ami Berto, par contre, a du rentrer au pays, victime de ladite crise. Nous saluons avec joie son retour, car c'est un élément de premier valeur, arrangeur imagnitif et tromboniste super-hot. Son entrain et ses arrangements ont donné un mordant nouveau a l'orchestre du ,Maxims' a Geneve".

(2) Maurice "Morris" Einhorn (Interview 29.März 1975): "Caffa war der sogenannte Kapellmeister, der aber keiner war. Er hat sich kaum um die Band gekümmert, das taten andere, z.B. Berto Bornand. Er kam als erfahrener Musiker aus dem Ausland zu uns und konnte bereits Jazz spielen".

(3) "L'Illustré" (No. 45/1938): "... Tout le monde se souvient, par exemple, de la ravissante et joyeuse 'Vielle Pompe', composition de Berto, si joliment mise au point dans ses plus petits détails."

Wintersaison in Davos, 1940/41. V.l.n.r.: Berto Bornand, Gérard Monod, Morris Einhorn, Jo Grandjean, Frau Zbinden, Lazlo Schiff, "Jug" Zbinden.
(4) Gustave "Gugu" Dupuis (Interview 25. April 1996): "Ich spielte etwa im November 1940 in Basel im 'Rialto' und da kam Berto auf Besuch. Bob Engels Orchester war im 'Astoria' engagiert. Er fragte mich, ob ich für die kommende Wintersaison ins 'Belvedere' nach Davos kommen möchte, was ich gerne annahm. Berto war ein netter und korrekter Kapellmeister. Ich hatte einen Skiunfall mit einen Doppelbruch, lag im Zimmer und dachte, ich kriege keine Gage, ich war ja in Davos zum Spielen da, nicht um Ski zu fahren. Da kam Berto in mein Zimmer und brachte mir die Gage und sagte, alles sei in Ordnung!

Ensemble Bob Engel, dir. Berto Bornand., ca. 1938. V.l.n.r.: ... Rossi, Roger "Poulet" Brechbühl, José Napache, Billy "Mack" Meyer (saxes), Berto Bornand (tb).
(5) Ernst "Bobby" Buser (Interview 21. April 1996): "Ende Oktober 1945. Ich war im 'Musikilädeli' bei Egon Zenker, als Berto Bornand, der immer wie ein Grandsegnieur gepflegt daherkam, zur Türe hereinkam und sagte, er sollte einen Trompeter haben; er wolle am 1. Dezember im 'Singerhaus' in Basel mit seinem Quintett anfangen, sein bisheriger Trompeter Hendricks hätte ihm jedoch gekündigt. Zenker sagte zu ihm: 'Da haben wir ja einen Trompeter!' Bornand fragte, ob ich interessiert sei. Ich war! Am gleichen Abend wartete ich im 'Singer' um vorzuspielen. Bornand ging zum Flügel und sagte ich solle irgend etwas spielen. Ich spielte 'Mexicaly Rose'. Das sei gut, meinte er. Dann gab er mir Noten, und ich musste ab Blatt spielen. Auch dies war in Ordnung, er sagte ich könne bei ihm eintreten, aber höchstens für ein Jahr, länger würde er nicht mehr auftreten. Er offerierte mir 25 Franken im Tag, das war damals nicht schlecht. Wir spielten vierzehn Tage im 'Singerhaus', machten eine Pause und gingen dann ins vornehme 'Palace' in Mürren, wo wir ab Januar bis Ende Februar auftraten". Und weiter: "Der Direktor Affentranger kam im Smoking daher, auch wir traten im Smoking auf. Er lud uns zu einem Drink nach dem Spielen ein. Ich 'verduftete' jedoch in mein Zimmer. Bornand kam hoch und sagte: 'Bobby, das geht nicht , kommen Sie herunter', was ich dann auch tat und ... meinen ersten Vollrausch einfing! Bornand und seine charmante Frau mussten mich auf mein Zimmer schleppen. Bornand war mir hinterher aber nicht böse. Berto blieb im März alleine im 'Palace' als Pianist, und weil ich einen Jahresvertrag hatte, vermittelte er mich weiter. Wir trafen uns erst wieder für ein Engagement im April1946 im 'Kursaal' in Bern. Hinterher sagte Bornand zu mir, dass die Situation bei den Schweizer Orchestern schlecht geworden sei, es kämen zu viele Ausländer, und die machten jeden Hokus Pokus auf der Bühne, es ginge nicht mehr gut, er könne mich nicht mehr weiterbeschäftigen."

II. Kurzprofil: Herbert "Berto" Bornand (tb, p, comp, arr, leader) Geboren 17. September 1903 in Ste. Croix. * Erstes prof. Engagement 1919 bis 1922 in Strasbourg * 1924-25 in Paris * 1925- Dezember 1931 in Deutschland, dann * 1932 mit Caffa's Band im "Maxim", Genf * 1933 mit Phil Bernie im "Maxim", Genf * 1934 wieder mit Caffa's Band im "Maxim", Genf * 1935 mit Morris Einhorn im "Mac Mahon", Genf * 1936 ? mit Jo Grandjean * 1937 - 1939 mit Bob Engel, dazwischen * 1940/41 Wintersaison in Davos mit Gérard Monod * ab 1939 bis 1946 eigenes Orchester (Bob Engels Band) * ab 1947 - 1974 Mitarbeiter bei der SUISA * ab 1974 im Ruhestand



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