Edmond Cohanier

Jugendjahre in Genf
Little Ed ...


Meine Geburtsstadt ist Genf, wo ich am 28. Februar 1905 zur Welt kam. Mein Vater betätigte sich als Amateurmusiker. Bereits in meiner frühesten Jugend beschäftigte ich mich mit Musik. Ich schloss mich mit sieben Jahren der Musikgesellschaft "L'Ondine" an, wo ich Flöte spielen lernte. Ein belgischer Musiker namens Guillaume Helaerts erteilte mir Stunden. Als ich dreizehn Jahre alt war, lernte ich bei einem andern Musiker Klarinette spielen, bei einem Freund meines Vaters. Nach sechs Wochen Unterricht sagte er zu ihm: "Weitere Stunden sind zwecklos. Edmond spielt bereits besser als ich!" In der folgenden Zeit erweiterte ich meine Kenntnisse im Klarinettenspiel am Konservatorium Genf. Zugleich begann ich auch Bassklarinette zu spielen. Mit diesem Instrument half ich gelegentlich im Orchestre de la Suisse Romande aus, das von Ernest Ansermet geleitet wurde. Kurz bevor ich das sechzehnte Altersjahr erreichte, schloss ich mich der Harmonié Nautique an. Ich gehörte zu dieser Gesellschaft bis Ende 1923. Auf Anraten des Leiters der Blasmusik lernte ich nun auch noch Saxophon spielen. Vorerst erhielt ich ein Sopransaxophon. Dies war damals das schlechteste Instrument der ganzen Saxophongruppe. Zur Finanzierung meiner Musikstunden führte ich für eine Buchdruckerei Botengänge aus.

Meine ersten Kontakte mit Jazz

1921 formierte sich in Genf eine Jazzband, die vom Pianisten Georges Bernard geleitet wurde. Ich schloss mich als Piccolospieler dieser Gruppe an. Nebst Bernard und mir bestand diese aus einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Wir alle waren blutjunge Musiker, die sich für die frisch in Mode kommende Jazzmusik begeisterten. Nun begann ich auch, aus dem Stehgreif zu spielen.
In dieser Zeit lernten wir auch die ersten Schallplatten kennen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Namen von Paul Whiteman. Mein Vater sah es gar nicht gerne, dass ich mich dem Jazz zuzuwenden begann. Jedoch ein Freund von ihm meinte: "Ich finde, dein Sohn hat Talent zu spielen, er gehört nach Paris." Mein Vater wollte vorderhand von solchen Plänen nichts wissen. Er drängte darauf, dass ich einen "soliden" Beruf erlernte. Ein Onkel von mir war Inhaber einer Buchdruckerei. Bei ihm konnte ich eine vierjährige Berufslehre als Typograph absolvieren.
Doch an den Abenden und an Sonntagnachmittagen packte ich mein Saxophon, um gemeinsam mit meinen Musikerkollegen bei Tanzanlässen aufzuspielen. Unsere Auftritte dauerten jeweils von 20 bis 22 Uhr, wofür wir ungefähr acht Franken pro Abend kassierten. Dazu kamen noch freie Kost und Getränke.
An dieser Stelle möchte ich auf einen guten Jugendfreund zu sprechen kommen, mit dem ich damals engen Kontakt hatte. Es handelt sich um den Trompeter "Riquet" Schleiffer. Er war gleich alt wie ich und wohnte unweit von mir. Gleich mir besuchte er ebenfalls die Musikgesellschaft "L'Ondine". Bevor er eine Musikerlaufbahn einschlug, absolvierte er eine Elektrikerlehre.

Ein Abstecher nach Evian (Savoyen)

Nach Beendigung meiner Typographenlehre war ich zuerst arbeitslos. Dann fand ich eine Stelle in einer Buchdruckerei in Evian. Ich war nun 18 Jahre alt. An Sonntagen ging ich jeweils ins "Casino" zum Tanz. In diesem Lokal spielte ein Orchester von mässigem Niveau. Es bestand aus mehreren Geigen, Cello, Saxophon und Schlagzeug. Die Klänge des Saxophonisten erinnerten mich an das Gemecker einer Ziege. Einmal fragte ich den Kapellmeister, ob ich mein Sopransax mitbringen dürfe. Er willigte ein und am Sonntag darauf trat ich mit der Gruppe auf. Es wurde eine lange Nacht bis drei Uhr in der Frühe. Ich schaffte es nicht, rechtzeitig um sieben Uhr in der Buchdruckerei zur Arbeit zu erscheinen. Als ich übernächtigt im Betrieb ankam, stellte mich mein Chef und machte mir Vorwürfe wegen meinem verspäteten Erscheinen. Da mir der schäbige Lohn und das Betriebsklima ohnehin nicht behagte, warf ich den Bettel hin und verliess diesen Arbeitsplatz.

Arthur Caffa

Ich kehrte ich nach Genf zurück. Hier lernte ich einen Musiker kennen, der wunderbar Geige spielte: Jean Leonardi. Durch ihn kam ich zu einer Stelle im "Maxim", wo Arthur Caffa mit seinem Orchester engagiert war. Caffa, der Geige und Banjo, spielte war ein Dilettant, welcher keine Noten lesen konnte und somit nach Gehör spielen musste. Doch war er ein kluger Kopf und hatte das richtige Gespür, die geeigneten Musiker um sich zu vereinen. Dazu gehörte Jean Leonardi, der sich um das "Musikalische" kümmerte. Auch Jeans Vater, der zugleich ein kleines Bistro in Genf führte, gehörte zur Gruppe. Als er Ferien machte, wurde ich geholt. So kam ich erst 18-jährig zu meinem ersten professionellen Auftritt. Unser Programm bestand aus musikalischen Darbietungen, kombiniert mit Variété-Nummern. Wir traten an Bällen verschiedener Sportvereine auf, wie beispielsweise Golf- und Tennisclubs. Parallel zu meiner Tätigkeit mit Caffa kamen Aushilfen als Klarinettist in klassischen Orchestern. Jedoch alle diese Einkünfte reichten nicht aus, um damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und der Gedanke weiterhin meinen Eltern zur Last zu fallen, belastete mich schwer.

Mario Sasselli (anfangs 1924)

Wiederum auf Empfehlung von Jean Leonardi kam ich Anfangs 1924 zu einer Stelle in Mario Sassellis Orchester, das im "Tabarin" in Genf spielte. Sasselli spielte ausgezeichnet Piano. Einer meiner Musikerkollegen war Herbert "Berto" Bornand. Wir wurden gute Freunde; unsere Wege haben sich später immer wieder gekreuzt. Berto hatte vorgängig in Paris gearbeitet. Er machte mir den Mund wässrig, wenn er voller Begeisterung von der Jazzszene in der französischen Metropole erzählte. Er hatte dort bedeutende Jazzpioniere gehört, so Les Michelis, die International Five und andere. Wir profitierten alle von seinen Erfahrungen, er führte uns vor, welch bedeutende Funktion ein Schlagzeug bei der Markierung des Rhythmus hat. Dann verfügte er über ausgezeichnete Verbindungen zu amerikanischen Musikverlagen, von welchen er durch seine in den USA wohnende Schwester stets die letzten Neuheiten bezog und die er auch Sasselli zur Verfügung stellte.

Charles Pilet

Als unser Vertrag mit Sasselli zu Ende ging, übersiedelten Berto und ich nach Lausanne, um dort dem Orchester von Charles Pilet beizutreten. Pilet war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Er hatte langjährige Aufträge und beschäftigte zeitweilen eine grosse Schar Musiker, welche er bei Bedarf auf verschiedene Plätze verteilte. Ich erinnere mich an einige erstklassige Hotels, wo wir engagiert waren, so das "Palace" in Montreux, das "Beau Rivage" in Ouchy, das "Palace" in Lausanne, das "Royal Hotel", "Old India", "Cecil", "Palais du Sport" und weitere mehr. Ich spielte Klarinette und Berto war in erster Linie als Pianist engagiert. Er begleitete jeweils den Geiger Marcel Gacoud in Tangonummern, welche das Publikum sehr liebte. Als Gacoud Ende 44 Pilet verliess, um in die Wintersaison zu reisen, wurde er durch Jean Leonardi ersetzt.
Wir verdienten ausserordentlich gut, oftmals kassierten wir - zusammen mit den Trinkgeldern - um die tausend Franken. Es war kolossal! So führten wir ein herrliches Leben. Ich lernte einen Sohn des Königs von Ägypten kennen, welcher ein verschwenderisches Leben führte. Er war beim Hotelpersonal und bei uns sehr geschätzt, da er mit Trinkgeldern überaus grosszügig war. Sein Vater forderte seine Rückkehr nach Ägypten und drohte ihm bei Missachtung dieses Befehls, ihm die monatlichen Zuschüsse drastisch zu kürzen.

Mit Charles Pilet und Georges Marion in Frankreich

Als unser Engagement an der waadtländischen Côte zu Ende ging, reisten Berto und ich mit dem Orchester von Charles Pilet nach Frankreich. Um Ostern 1925 herum traten wir während zwölf Tagen im "Casino" in Royan an der Atlantikküste auf.
Anschliessend reisten wir nach Paris weiter, wo wir im "La Fondo" engagiert waren. Hier verliess uns Berto, um eine Stelle im "Bois de Boulogne" anzutreten. Er wurde durch Georges Marion ersetzt. Dann fuhren wir nach Vichy, wo wir vom Juni bis September engagiert waren. Es fanden personelle Veränderungen statt. Auch Charles Pilet ging weg; Georges Marion übernahm nun die Leitung des Orchesters. Er war ein ausgezeichneter Schlagzeuger, im weiteren verstand er etwas vom Management. Unsere Gruppe verfügte im Klavierspieler Lucien Moraweck über einen ganz hervorragenden Arrangeur. Seine Arrangements enthielten oft Läufe für die Bassklarinette, ein Instrument, das ich jeweils blies. Ich hatte es ja bereits in Genf spielen gelernt.

Abstecher in die Schweiz

Im Herbst 1925 reiste ich mit Georges Marion und weiteren Kollegen in die Schweiz. Wir traten unter dem Namen National-Club Orchester zu Beginn im "Palais Mascot" in Zürich, anschliessend im "Metropol" in Basel und schliesslich im "Tea-Room Rolfo" in Genf auf. Der Besitzer des "Metropols" in Basel hiess Dreyfuss. Er war ein Milliardär. In den Pausen zwischen den Auftritten setzte er sich gerne zu uns, um ein wenig mit uns zu plaudern. Es verblüffte, dass er als vielgereister Geschäftsmann alle die bekannten amerikanischen Jazzorchester kannte. An unseren Darbietungen hatte er seine helle Freude. In Genf erlebten wir eine böse Überraschung. Es war vorgesehen, in einem neu geschaffenen Lokal, dem "Mac Mahon" aufzutreten. Doch bevor es richtig eröffnete, ging die Trägerschaft Bankrott und wir wurden um unsere Gagen geprellt. Erneut fand ich bei meinen Eltern Unterschlupf und meine Kollegen konnte ich in einer Pension unterbringen. Mein Vater war grosszügig, er berappte auch diese Kosten. Glücklicherweise fanden wir schliesslich doch noch Arbeit, und zwar im "Tea-Room Rolfo".

Exklusiv engagiert für eine Silvesterfeier

Dann kehrten wir nach Paris zurück. Man bot uns an, für eine private Party des Baron de la Montagne aufzuspielen. Dieser hatte von Weihnachten bis Silvester 1925 in Pau (Pyrenäen) ein Hotel für sich und seine Freunde gemietet. Uns fiel die Aufgabe zu, für Tafel- und Tanzmusik zu sorgen. Auch für unser leibliches Wohl war reichlich gesorgt. Es gab ausgesuchte Speisen, wie Kaviar, Gänseleber und Rauchlachs. Auch mit dem Ausschank von Champagner wurde keineswegs gegeizt.
Nach der Silvesterfeier beschlossen der Baron und seine Gäste, noch zusätzliche Tage in Pau zu bleiben. Damit erstreckte sich unser Engagement um weitere zehn Tage. Erst etwa Mitte Februar waren wir wieder in Paris zurück.

Engagements in Paris und in der Provinz

Im Zeitraum vom Frühling 1926 bis gegen Herbst 1928 hatte ich unzählige Auftritte, wobei ich mich fast ausschliesslich in Frankreich aufhielt. Jahrzehnte sind seither vergangen, und es ist mir nicht mehr möglich, die Ereignisse chronologisch im Detail zu rekonstruieren. Ebensowenig erinnere ich mich an all die Musiker, mit welchen ich damals gemeinsam gespielt habe. Nebst den vielen Engagements in Paris und in der Provinz, war ich 1927 auch wieder in der Schweiz. In der Zwischenzeit war nun auch in Genf das "Mac Mahon" wieder eröffnet worden. Ich spielte dort mit einer Gruppe, zu welcher auch Starmusiker wie Rene Weiss und Christian Wagner gehörten. Im Anschluss an Genf verbrachte ich eine Saison in St. Moritz.

Bedeutungsvolle Begegnung im Tabakladen

Im April 1928 begegnete ich eines Tages in einem Tabakladen an der Place Pigalle in Paris einem alten Bekannten, nämlich Krikor Kélékian (besser bekannt unter seinem Künstlernamen Grégor). Grégor war gebürtiger Armenier, dessen Familie l910 von den Türken massakriert wurde und der damals nach Europa entfliehen konnte. 1922 tauchte er in Genf auf. Er war ein ausgezeichneter Tänzer. Ich sah ihn, als er mit seiner bildhübschen Begleiterin als Tanzpaar "Loulou und Grégor" in der Rhonestadt auftrat. Später fasste er in Frankreich Fuss, wo ihm als gewiegter Manager im Unterhaltungsektor eine blendende Karriere bevorstand. Bei der neuerlichen Begegnung in Paris berichtete mir Grégor, dass er Orchesterchef geworden sei. Gerade sollte er eine neue Formation zusammenstellen für ein Engagement ins erstklassige Etablissement "Casino de Forêt" in Touquet-Paris. Er bat mich, ihm bei der Suche nach Musikern behilflich zu sein. Dies war keine leichte Aufgabe, denn die Saison hatte begonnen, und die meisten guten Musiker standen bereits unter Vertrag. So war ich gezwungen, mich an diejenigen zu wenden, welche noch stellenlos waren. Es war eine Auslese zweiter Wahl, absolut unbefriedigend. Darunter befanden sich einige Russen, zwei Italiener, ein Engländer und ein Franzose, der miserabel Englisch sang. Doch Grégor berührte dies keineswegs. Er verstand es, ganz hervorragend zu bluffen. Sein souveränes Auftreten öffnete ihm Tür und Tor. Er fuhr in Touquet vor, wobei er einen protzigen amerikanischen Wagen (mit Chauffeur) benutzte. Obschon er nur über eine mittelmässige Crew verfügte, verstand er es, auf der Bühne die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Grégors glanzvoller Aufstieg lässt sich auch damit erklären, dass es ihm in der Folge gelungen ist, stets erstklassige Musiker und Showleute um sich zu vereinen. Er bezahlte diese fürstlich und behandelte jeden von ihnen, als wäre er ein bedeutender Star. Was ihn betraf, verstand er wenig von Musik. Auf der Bühne spielte er Geige mit nur einem Finger. Jedoch begleitete er einen solchen Auftritt mit soviel Theatralik, dass das Publikum glaubte, Yehudi Menuhin vor sich zu haben. Die Saison in Touquet ging zu Ende, doch Grégor hatte bereits einen neuen Vertrag in der Tasche mit noch erstaunlicheren Bedingungen.

Ich werde Mitglied der Grégoriens

Da ich bis Oktober 1928 anderweitig unter Vertrag stand, konnte ich erst später den Grégoriens beitreten. Mit dem Trompeter Philippe Brun war inzwischen bei Grégors Formation ein erstklassiger Solist hinzugekommen. Grégor verstand es, seinem Publikum eine grossartige Show vorzuführen. Wir Musiker waren in schmucke Uniformen gekleidet und sassen hinter Pulten, welche mit dem Signet des Orchesterchefs verziert waren. Lichtspiele beleuchteten die Szene, und auf der Bühne vollzog sich eine prächtige Show mit viel Dynamik. Wir traten im Cirque de Paris auf und Gregor erntete weiterhin riesigen Erfolg.
Anschliessend bereisten wir verschiedene Städte im Süden und Südwesten Frankreichs, auch das Fürstentum Monte Carlo. In der Wintersaison 1928/29 waren wir im "Ruhl" in Nizza und nachfolgend im benachbarten "Palais de la Mediterranée" engagiert. Das letztgenannte Hotel war soeben fertiggestellt worden. Eigentlich war geplant, das amerikanische Orchester von Ted Lewis zur Eröffnung beizuziehen. Doch Grégor verstand es geschickt, seinen Konkurrenten auszutricksen, so dass er an dessen Stelle mit den Grégoriens einziehen konnte.
Als die Saison an der Riviera zu Ende ging, unternahm Grégor mit uns einen kurzen Abstecher nach Spanien, wo wir im "L'Avenia" in Madrid vor das Publikum traten. Während den Sommermonaten 1929 spielten wir wiederum im "Casino de la Foret" in Touquet-Paris. Der Chef überbordete vor lauter Zukunftsplänen.

Unfall und missglückte Afrika-Reise

Auf unserem weiteren Programm stand eine Reise nach Algier und Tunis. Um zum Einschiffungsort am Mittelmeer zu gelangen, benutze Grégor ein Auto, in welchem sein Sekretär, Philippe Brun, John Lucas und ich mitfuhren. Es war am 3.Oktober 1929, als er sich kurz nach Lyon auf eine Nebenstrasse verirrte. Bei St. Pierre-de-Boeuf stiess unser Auto mit der Mähmaschine eines Bauern zusammen. Während der ältere Bauer tödlich verletzt wurde, zogen sich Grégor und ich ernsthafte Verletzungen zu und mussten ins Spital eingeliefert werden. Unsere in Paris zurückgelassenen Musikerkollegen wollten gerade den Zug nach Marseille besteigen. Ein Telegramm konnte sie noch rechtzeitig stoppen. Beim Unfall zog ich mir Kinnverletzungen zu und musste während mehreren Wochen aufs Musizieren verzichten.
Erst als Grégor und ich geheilt waren, traten wir wieder an die Öffentlichkeit. Die Nordafrika-Tournee konnte nicht mehr nachgeholt werden. Stattdessen verbrachte ich mit den Grégoriens die Wintersaison 1929/30 wiederum in Nizza, vorerst im Hotel Ruhl und später im "Palais de la Mediterranée". Auch dieses Mal fuhren wir per Auto in den Süden. Als Fahrzeug wählte Grégor einen kräftigen 40 CV Renault. Er nahm jedoch seinen farbigen Chauffeur mit, der das Auto lenkte.
Die Grégoriens nahmen in dieser Saison an allen grossen Veranstaltungen teil, welche an der französischen Riviera durchgeführt wurden. Diese umfassten Blumencorsi, Modeveranstaltungen und Carnevalumzüge.
Ein grosser Gewinn für die Gruppe war der brillante Posaunist Léon Vauchant, der sich uns anschlossen hatte. Im Frühling 1930 kehrten wir nach Paris zurück, wo wir für einige Wochen im "Empire Theatre" aufspielten.

Tourneen nach Südamerika und an die Riviera

Saxteam der Grégoriens, mit Edmond Cohanier (2. von rechts)
Nun folgte eine triumphale Reise nach Südamerika. Zusammen mit meinen Kollegen von den Grégoriens schiffte ich mich im Juni 1930 ein. Es gab Zwischenhalte in Vigo, Madeira, Bahio, Permanbuco und Santos. Dann erreichten wir Buenos Aires, wo wir im "Florida" und im "Rosario" auftraten. Doch das Südamerika-Geschäft zahlte sich schlecht aus, da gerade die Landeswährung abgewertet worden war. Die Papierscheine waren nicht mehr viel wert und die Teuerung frass all unseren Verdienst auf. So waren wir alle froh, als wir wieder für die Rückfahrt nach Europa einschiffen konnten. Mitte Oktober 1930 trafen wir in Paris ein. Im Monat darauf verliess ich vorübergehend die Grégoriens. An meine Stelle trat der Tenorsaxophonist Coco Kiehn. Im Januar 1931 kehrte ich für kurze Zeit nochmals zu Grégor zurück, um mit seiner Formation ein weiteres Mal im "Palais de la Mediterranée" in Nizza aufzutreten. Grégor verliess Frankreich und fuhr für eine Weile nach Südamerika. Dies hing mit dem Autounfall im Herbst 1929 zusammen, der ein gerichtliches Nachspiel hatte und ihn schwer belastete. Erst eine vom französischen Präsidenten erlassene Amnestie bewirkte, dass Grégor völlig rehabilitiert wurde. So machten wir die Saison in Nizza ohne ihn fertig. Dann verliess ich die Grégoriens definitv.

Als Gründungsmitglied des "Jazz du Poste Parisien"

Es folgte ein weiterer Lebensabschnitt, über den ich mich kurz fassen möchte. Es handelt sich um den Zeitraum von etwa Mitte 1931, als ich Grégor verlassen hatte bis anfangs 1935, wo ich nach Genf zurückgekehrt war und eine eigene Formation gründete. Ich arbeitete in dieser Zeit fast ausschliesslich in Frankreich, wobei ich mit unterschiedlichen Formationen tätig war. Es waren weiterhin turbulente Jahre, reich an musikalischen Aktivitäten.
Erwähnenswert ist ein Besuch meines alten Jugendfreundes "Riquet" Schleiffer, der Ende August 1933 nach Paris kam, um dem Konzert des Orchesters von Duke Ellington in der Salle Pleyel beizuwohnen. Er befand sich in Begleitung des Saxophonisten René Fetterlé.
Im Oktober 1933 gehörte ich zu den Gründungsmitgliedern des "Jazz du Poste Parisien". Dies war eine Vereinigung von französischen Jazzmusikern für Radioauftritte. Sie wurde zuerst von Lucien Moraweck, später dann von Alain Romans geleitet. Mit einer solchen Gruppe nahm ich Ende 1934 an einer Radiosendung teil, bei der wir Louis Armstrong begleiteten.

Formierung einer eigenen Gruppe und bei Eddie Ritten

Im Februar 1935 reiste ich nach Genf. Hier begegnete ich nach längerer Trennung meinem Freund Herbert Berto Bornand. Ich erhielt den Auftrag, für das "Mac Mahon" eine Gruppe zusammenzustellen. Ich war froh, auf die tatkräftige Hilfe von Berto zählen zu können, denn er wusste über Schweizer Musiker besser Bescheid als ich. Als Pianisten hätte ich gerne Max Oberlé gewonnen. Doch zog es dieser vor, im "Esplanade" in Zürich zu bleiben. Schliesslich setzte sich Berto ans Klavier. Zu unserem Quintett gehörte auch der belgische Trompeter René Compère. Nach dem Engagement im "Mac Mahon" fuhr ich nach Frankreich, wo ich mich in den Monaten August und September dem Orchester von Eddie Ritten anschloss. Ich spielte hier Seite an Seite mit dem farbigen Posaunisten Herb Flemming. Ort unseres Auftritts war das "Bellevue Casino" in Biarritz.



Die Italientournee der Grégorians

Ende September 1935 war ich ohne Arbeit und wohnte einmal mehr bei meinen Eltern in Genf. Da erreichte mich ein telefonischer Anruf von Grégor. Er erzählte mir von seiner grossen Revue "Jazz Scandale", mit welcher er momentan im "Corso" in Zürich auf der Bühne stehe. Im Anschluss daran sei geplant, mit dieser Show durch Italien zu ziehen. Er bot mir wieder einen Platz in seinem Orchester an. Gerne sagte ich zu. Die erste Station der Reise war Merano, wo wir am 3.Oktober eintrafen. Ich erinnere mich noch so genau an dieses Datum, da gleichentags der Abessinienkrieg begann, wodurch sich die wirtschaftlichen Verhältnisse schlagartig veränderten. Auch das Unterhaltungsgewerbe war davon betroffen. Grégor war gezwungen, die Truppe zu redimensionieren. Das "Deutsche Ballet"ging nach Südamerika auf Tournee, während die "Schwarze Revue" nach Wien zog. Mit dem verbleibenden Orchester bereiste Grégor nun verschiedene italienische Städte. Im Februar und März 1936 erfolgte ein Abstecher in die welsche Schweiz. Die Italientournee endete Mitte Juli 1936 in Rom. Anlässlich der Reise durch Italien lernte ich Doddy Weniger kennen, die Grégor als Sängerin beschäftigte. Sie wurde im März 1939 meine Frau. Doddy und ich verliessen Grégor und wir fuhren nach Genf.


Gründung des Versatile Orchestra

Wieder stellte ich eine eigene Formation zusammen. Anfänglich war es ein Trio, später ein Quintett mit Auftritten im "Du Nord" und später in der "Brasserie de l'Etoile". Der neu zusammengestellten Gruppe, der auch Doddy Weniger angehörte, gab ich den Namen Versatile Orchestra. Anschliessend an Genf wurden wir im Herbst 1936 in den "Kursaal" nach Lausanne und dann ins "Grand Hotel" nach Fribourg engagiert.
Nun beschloss ich, mein Glück in Zürich zu versuchen. Gelegenheit dazu bot sich mir an Silvester 1936, als ich mit einer neu zusammengestellten Crew ein Engagement im "Astoria" in Zürich antreten durfte. Nachdem wir dort einen Monat lang gespielt hatten, reisten wir mit der gleichen Gruppe nach Davos, wo wir während zwei Monaten im "Palace" stationiert waren.

Das "Esplanade" in Zürich macht Pleite

Ensemble Edmond Cohanier, 1937.V.l.n.r: Rolf Heinemann (tp,p), ...Weder (sax, cl), Edmond Cohanier (as, cl), ...Kucelska (d, tb, ts, viol), Achille Reinhard (cello, g), Jean Cavillier (d). Oben: Doddie Weniger (vo) & Edmond Cohanier.
Dann kehrte ich in die Limmatstadt zurück, wo ich zusammen mit Leuten der Magnolians ein Orchester bildete. Am 1. April 1937 stellten wir uns im "Esplanade" erstmals auf der Bühne vor. Wir waren voller Hoffnung, denn wir hatten eine ausgezeichnete Formation beieinander. Doch die Herrlichkeit dauerte nicht lange. Nach unserem Auftritt am Sechseläuten kam das grosse Fiasko. Wir hatten einen randvollen Saal und spielten bis um vier Uhr in der Früh. Doch als wir tagsdarauf unseren Zahltag abholen wollten und wir das Büro der Geschäftsleitung betraten, hiess es Adieu! Der Direktor hatte sich abgesetzt - das Etablissement war Pleite und wir erhielten keinen Rappen. Meine zukünftige Frau und ich besassen etwas Geld, womit wir die Musiker auszahlen konnten. Doddy Weniger und ich wohnten zu jener Zeit in einer Pension an der Talstrasse. Uns fehlte weiteres Geld, um nun auch noch die Miete zu bezahlen. Zufällig begegnete ich daraufhin der Inhaberin der Pension Metzger. Als ich ihr von unserem Missgeschick erzählte, sagte sie: "Wenn Sie ohne Arbeit sind, kommen Sie doch einfach zu mir. Bezahlen können Sie später, wenn es Ihnen wieder gut geht. Frau Metzger war in Zürich als weltoffene und grossherzige Frau bekannt, welche in jenen Jahren jüdische Musiker bei sich aufnahm, welche aus Nazi-Deutschland fliehen mussten. Gottlob konnte ich mich an einen guten Freund im Arbeitsamt wenden, der mir für den Mai einen guten Platz in der "Sihlporte" in Zürich vermitteln konnte.
Wieder gelang es mir, eine erstklassige Formation zu rekrutieren, was in jenen Krisenjahren leicht zu meistern war. Als Trompeter konnte ich Rolf Heinemann und Hans Berry beides Exildeutsche, gewinnen, dann den Tessiner Posaunisten Andreoli und die Saxophonisten Henry Alder, Hugo Peritz und Eddie Brunner. Als Pianist kam Max Fickel dazu. Er war soeben von einer Amerikareise mit der Tänzerin Trudi Schoop nach Zürich zurückgekehrt.
Wir besassen ein grosses Repertoire guter Arrangements, das wir aus den USA erhalten hatten. Manchmal sass ich nächtelang an der Arbeit, um dieselben auf unsere Bedürfnisse umzuschreiben.
Im Sommer 1937 fuhr ich nach Paris, wo wegen der Weltausstellung Hochbetrieb herrschte. Für Musiker gab es Arbeit in Hülle und Fülle. Dort schloss ich mich dem "Normandie-Orchester" an, das von Bob Crisler geleitet wurde. Ende August kehrte ich nach Zürich zurück.

Mit den Magnolians in Zürich und mit Albert Vossen in Berlin

Ich war froh, dass mir Walter Baumgartner nach meiner Rückkehr einen Platz bei den Magnolians anbot. Baumgartner war soeben mit seinem Orchester aus Holland in die Limmatstadt zurückgekommen und sollte ein Engagement in der "Sihlporte" antreten. Ende September 1937 musste er seine Truppe reduzieren, um mit einer kleineren Crew im "Corso" Variété-Nummern zu begleiten. Wiederum war ich ohne Arbeit.

So fuhr ich nach Berlin. Zwei renommierte Schweizer Formationen weilten zu jener Zeit bereits in der deutschen Reichshauptstadt, nämlich im "Delphi-Palais" die Lanigiros mit dem Trompeter Hans Berry und ihrem Leiter René Schmassmann; im weiteren Teddy Stauffer und seine Teddies mit dem Saxophonisten Ernst Höllerhagen im "Femina". Ich konnte nur 50 Mark mitnehmen, hatte bald kein Geld mehr und ging demnach auf die Suche nach Arbeit. Im Dancing "Ciro's" stiess ich auf ein Orchester, welches von Albert Vossen geleitet wurde. Als ich die Bar des Lokals betrat, sah ich die Musiker vorerst nur von hinten. Sofort erkannte den Violinisten, es war Athos Micheli. Nach der Begrüssung sagte ich ihm, dass ich dringend Arbeit brauche. Da kam der Direktor des Etablissements namens Mustafa hinzu. Micheli sagte zu ihm: "Siehst Du, hier steht der beste Tenorsaxophonist, den ich kenne, neben Eddie Brunner!" Es stellte sich heraus, dass Eddie Brunner hier kurz zuvor gespielt hat, er musste jedoch Hals über Kopf abhauen, um der Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen. Brunner hatte zuviel getrunken, rempelte SS-Leute an und sagte ihnen die Wahrheit. Das war sehr gefährlich um jene Zeit. Mustafa sagte zu ihm: "Du musst sofort packen und verreisen", und am andern Morgen um sechs Uhr brachte er ihn mit dem Auto auf den Flugplatz Tempelhof. Die Gestapo kam um acht Uhr und wollte Eddie abholen. Das passierte zwei Tage bevor ich ankam. Vossen war über mein Kommen sehr froh, er gab mit 20 Mark, damit ich mit einem Taxi mein Saxophon holen konnte. Und so konnte ich ohne Verzug Brunners Platz im Orchester einnehmen. Mustafa offerierte mir 60 Mark pro Abend - zehn Mark mehr als Eddie zuvor hatte -, und dies war um jene Zeit fast ein Vermögen. Es gab Leute, die im Monat nur um die 180 Mark verdienten! Da das Lokal von den Behörde kontrolliert wurde und ich nicht beim Reichskammer-Musikverband eingetragen war, wurde die Situation für mich allmählich schwierig. Zudem konnte ich kein Geld in die Schweiz überweisen. Ich reiste somit wieder in die Schweiz zurück.

Erfolgreiche Cowboy-Nummern

Ende Oktober kehrte ich also in die Schweiz zurück, wo ich mich dem Orchester von Bill Mantovani anschloss. Mit ihm war ich zu Beginn im "Palace" in Lausanne. Es folgte die Wintersaison 1937/38, die ich weiterhin mit Mantovani im "Cresta Palace" in Celerina (GR) verbrachte. Bill war ein Mulitinstrumentalist, der - ausser Posaune und Schlagzeug - ausgezeichnet Schwyzerörgeli spielen konnte und überdies auch sang. Er hatte mit seinen Cowboy-Nummern grossen Erfolg. Dazu trugen wir Reiteruniformen und breitrandige Hüte. Wir erwarben uns zudem ausgediente Militärgäule.
In Celerina hatten wir ausgiebig Gelegenheit, Wintersport zu treiben. Mantovani war ein ausgezeichneter Skifahrer. Er besass einen grossen Hund (Fox), über den wir uns köstlich amüsierten. Auf der Skipiste rannte er uns ständig hinterher. Bill liebte Tiere. Als wir uns in Adelboden aufhielten, hatte er einen Affen bei sich, der für allerlei Aufregung sorgte. Eines Tages kletterte dieser an der Fassade herunter und stieg durchs geöffnete Fenster in das Appartement einer Dame ein. Ich blieb weiterhin bei Mantovani, als er nach der Wintersaison im "Dancing Bettini" in Zürich auftrat.

Wechsel ins Orchester Bob Engel

Bob Engels Klarinettentrio, v.l.n.r: Jean Leonardi, Edmond Cohanier, René Fetterlé.
1939 trat ich dem Orchester Bob Engel bei. Mein Engagement mit dieser Formation war von längerer Dauer, blieb ich doch bis Herbst 1940 Mitglied. Engels Orchester erfreute sich in der ganzen Schweiz grosser Beliebtheit. Zu unseren Aktivitäten gehörten auch zahlreiche Auftritte am Radio. Im September 1939 hätten wir an der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich, quasi als Nachfolgeorchester der Teddies, auftreten sollen. Doch wegen dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fiel dieses Engagement ins Wasser. Im Dezember waren wir im "Palace" in Davos engagiert. Bis wir für uns eine Logis gefunden hatten, bot uns der Direktor des Hotels an, bei ihm zu wohnen. Es war saukalt, und die Hotelzimmer waren nicht geheizt. Es gab Zimmeröfen, die wir in der Not mit Zeitungen beheizten. Als Bob Engel erkrankte und ausspannen musste, indem er einen Kuraufenthalt antrat, kam es innerhalb des Orchesters zu gelegentlichen Reibereien. Nach einem solchen Krach packte ich meine Sachen und gab den Austritt.

Erneut auf eigenen Füssen

Im Oktober 1940 stellte ich ein Trio zusammen. Meine Partner waren ein italienischer Pianist und ein deutscher Schlagzeuger. Beide spielten miserabel. Bessere Leute waren in jenen Kriegsjahren nur schwer aufzutreiben. So versuchte ich es mit derselben Methode, wie ich es bei Grégor gesehen hatte: Ich verliess mich aufs Bluffen. Das harte Geschäftsleben liess mir einfach keine andere Wahl.
Ich kam zu einen Vertrag, der mir eine Anstellung in der "Cecil-Bar" in Zürich für die nächsten zwei Monate gewährleistete. Ich konnte die Geschäftsleitung mit dem Argument ködern, dass mein Trio gleich gute Musik mache, wie ein ganzes Orchester, und dies zu einem wesentlich günstigeren Preis. Den Pianisten nannten wir seiner Haartracht und seinem Bart wegen "Negus", da er dem im Exil lebenden Ex-Kaiser von Abessinien sehr ähnlich sah. Dem Deutschen musste ich wegen seinen Nazi-Sympathien das Maul stopfen. Als die Deutschen mein Heimatland Frankreich besetzten, wollte er dies mit uns bei einer Flasche Champagner feiern.
Wir traten mit Nummern auf, welche dem "Cabaret Parisienne" glichen und imitierten den französischen Chansonier Charles Trenet.
Nach Zürich spielte ich bis Ende Januar 1941 mit einer weiteren eigenen Formation im "Kulm-Hotel" in Arosa. In den nachfolgenden Monaten hatte ich Engagements in Bern, Basel, Lugano, St. Moritz und weitere, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann. In der Wintersaison 1941/42 waren wir im "Elite" in Biel anzutreffen.

Kriegsjahre mit personellen Schwierigkeiten
- Hazy Osterwald springt ein


Ensemble Edmond Cohanier, Bern, "Bellevue Palace", Febr./März 1941. V.l.n.r: Edmond Cohanier (ts), cl), Johnny Kobel (p), Napoleon Cattaneo (ts), Roland Schweizer (d), Florizel Tiéche (ts), Divorne Negri (b).
Bis Herbst 1943 beschäftigte ich weiterhin eigene Gruppen. Die Kriegsjahre waren geprägt von erheblichen personellen Schwierigkeiten, es war oftmals mühsam, alle Musikerpulte zu besetzen. Infolge Militärdienst entstanden immer wieder empfindliche Lücken, und ich hatte die liebe Not, sie wieder zu schliessen. Während wir im Sommer 1941 im "Perroquet" in Bern auftraten erhielt mein Pianist kurzfristig ein Militäraufgebot. Ich hatte von einem jungen Berner Musiker namens Hazy Osterwald gehört. In meiner Verlegenheit wandte ich mich an ihn, mit der Bitte, als Klavierspieler einzuspringen. Hazy besuchte zu jener Zeit noch das Realgymnasium und stand kurz vor der Matur. Da in Kürze Beginn der Sommerferien war, sagte er mir zu meiner grossen Erleichterung zu. Hazy hatte damals einige Mühe, den Anforderungen in meinem Orchester zu genügen. Dies war eine Folge der Doppelbelastung als Schüler und Musiker. Er musste ausgefallene Tricks anwenden, damit seine Abwesenheit am späteren Nachmittag - ab 16 Uhr eröffneten wir im "Perroquet" zum "Thé dansant" - weder in der Schule noch im Elternhaus auffiel. Sowohl Hazy wie ich waren froh, als unser Engagement im "Perroquet" zu Ende ging.
Doch Hazy gab sich keineswegs geschlagen. Er lernte noch Trompete spielen und nach erfolgreich bestandener Matur wurde er Berufsmusiker. Ein zweites Mal trat ich an ihn heran, als er im Juni 1942 nach der Rekrutenschule zu seinen Eltern nach Bern zurückkehrte. Ich telefonierte nach seiner Entlassung mit ihm : "Hazy hättest Du Lust, als Pianist und Trompeter mit uns ins nach St. Moritz zu kommen?" Natürlich wollte er und nicht zuletzt darum, weil er dank eines Engagements einen Aufschub beim Militärdienst erreichen konnte.

Mit einem Grossorchester im "Corso", Zürich

Ed Cohanier Bigband im "Corso Palais", Zürich", Winter 1942-43. Oben, v.l.n.r: Achille Perritaz (d), Kurt Grieder (b), Gustave Simon, Mani Giger, Otto Horak (tp), Tommy Bruderer (tb) Unten, v.l.n.r: Achille Christen (p), ...Gorellik (viol), Renzo Girani (1. ts), Bert Grellmann (2. ts), René Fetterlé (2. as), Edmond Cohanier (1. as).
Kurz vor Weihnachten 1942 erlebte ich wieder die Pleite eines Etablissements. Ich spielte mit einer zehnköpfigen Formation im Genfer "Tabarin". Das Engagement ging bald zu Ende, und ich wollte mich eben erkundigen, ob wir auch im folgenden Monat bleiben könnten. Eine Verlängerung erübrigte sich jedoch, denn das "Tabarin" machte Konkurs. Der Direktor floh ins Ausland und unsere Gagen konnten wir vergessen. Nach dem Krieg kam er in die Schweiz zurück, und eines Tages brachte er mir das Geld, das er mir schuldete.
Die Rettung aus der damals misslichen Lage erfolgte von Seiten des Inhabers der Zürcher Vergnügungsstätte "Corso". Deren Chef, Herr Seguin, kam extra nach Genf, um mein Orchester anzuhören. Er machte mir den Vorschlag nach Zürich zu kommen. Auch er war in einer Zwangslage, denn das Orchester Joe Bouillon, das hätte auftreten sollen, blieb an der Landesgrenze hängen. Als Ersatz sollte nun ein Grossorchester aus meinen und Walter Baumgartners Leuten gebildet werden. Da ich mit Baumgartner befreundet war, liess sich dieses Projekt problemlos bewerkstelligen. Ich war auf diese Aufgabe gut vorbereitet, besass ich doch ein umfangreiches amerikanisches Repertoire, Arrangements für zwei Tenor- und zwei Altosaxophone und so. Ich brachte Achille Christen mit, der sich ausgezeichnet zur Klavierbegleitung bei Variété-Nummern eignete. Somit hatten wir zwei Pianisten : Achille Christen und Walter Baumgartner. Wir beschäftigten auch ausgezeichnete Sängerinnen. Zu Beginn gehörte Phyllis Heymans zu uns, später Jacqueline Figus.
Bedauerlicherweise haben es die Schallplattenfirmen verpasst, uns ins Aufnahmestudio zu rufen. Unsere Formation war wirklich von grosser Klasse. Unser Bassist Kurt Grieder übertrug im privaten Rahmen einige Darbietungen auf Wachsplatten und führte sie als Kostproben den Verantwortlichen einer Plattenfirma vor. Doch diese waren nicht bereit, uns für Schallplatten zu engagieren.
Als der Vertrag im "Corso" Ende März 1943 ablief, spannte ich für eine Weile aus. Ich machte einen Monat lang Ferien in Wengen im Berner Oberland. Dann stellte ich erneut ein Ensemble zusammen, mit dem ich im April 1943 im "Palace" in Lugano auftrat.

Mit eigenen Gruppen und mit Charles Wilhelm unterwegs

Vom April bis Ende August 1944 war ich wieder mit einem eigenen Ensemble unterwegs. Wir machten Station im "Palace" in Lausanne. Dann begleiteten wir in einem Genfer Lokal Cabaret-Nummern und schliesslich reisten wir nach Basel, wo wir im Juli und August 1944 im "Astoria", in der "Kunsteisbahn" und im "Baslerstab" aufspielten.
Dann erhielt ich einen telefonischen Anruf von Charles Wilhelm aus La Chaux-de-Fonds. Als Pianist und Klarinettist leitete er eine Dixielandband, welche sich New Hot Players nannte. Sein Vater war Besitzer einer Uhrenfabrik. Wilhelm bat mich, mit ihm nach Ascona zu kommen, wo er für zwei Monate in der "Taverna" engagiert war. Ich sagte ihm zu und schloss mich dieser Gruppe an. Zu ihr zählte auch der französische Trompeter Philippe Brun.

Beitritt zum Radio-Orchester Beromünster

In der "La Suisse" sah ich ein Inserat, wonach das Radio- und Unterhaltungsorchester Beromünster reorganisiert werden sollte und dazu auch neue Musiker gesucht würden. Ich reichte unverzüglich meine Bewerbung ein. In der Folge wurde ich zu einem Probespiel nach Bern eingeladen. Als Fachexperte war Hermann Scherchen anwesend, dem ich auf der Bassklarinette vorspielen musste. Nachdem ich etwa 20 Takte vorgetragen hatte, forderte er mich auf, zu stoppen. Es war offensichtlich, dass ihn mein Können voll befriedigte. Es dauerte jedoch noch mehrere Monate bis die Radioleute ihr Projekt realisieren konnten. Vorerst lief ein Versuch mit dem Orchester von Bob Huber. Später wurde dann Cédric Dumont die Leitung des frisch formierten Orchesters übertragen. Nach den Proben wurde ich Mitglied des Radio-Orchesters Beromünster, welches in Zürich beheimatet war und bei dem ich bis 1970 blieb.

Mitwirkung in Sinfonieorchestern

Ich trat auch dem Tonhalle Orchester Zürich bei. Mit diesem spielte ich 1954 als Solist das "Concerto pour Saxophone" von Alexander Glasunov - und 1970 ein Werk von Moussorgsky/Ravel (?).
In den sechziger Jahren leitete ich auch ein Saxophonquartett.
Im weiteren erteilte ich am Konservatorium Zürich und in der Kantonsschule Rämibühl (und an weiteren Orten in der Schweiz) Musikunterricht. Ich lehrte meine Schüler Klarinette und Saxophon spielen.
Mit dem Radio-Orchester wirkte ich bei der Aufführung von "Boléro" von Maurice Ravel mit. Hier spielte ich die erste und Henri Dutilleux die zweite Klarinette.
Hazys Party am Vierwaldstättersee, Sommer 1991: V.l.n.r: Edmond Cohanier (as), René Bertschy, Fred Böhler, Mario Malgaroli, Bob Huber, Ruedi Sutermeister, Hazy Osterwald, Freddy Bussmann, Lothar Löffler und Morris Einhorn.
Als das Zürcher Kammerorchester unter der Direktion von Edmond de Stutz das "Concerto pour Saxophone" von Jacques Ibert aufführte, wurde ich als Saxophon-Solist zugezogen.
1975 war ich Mitglied des Festspiel-Orchesters von Yehudi Menuhin in Gstaad, als es "Le Cornet" von Frank Martin vortrug.
Obschon ich mich in den nachfolgenden Jahren aus beruflichen Gründen mehrheitlich mit klassischer Musik befassen musste, geriet die Jazzmusik nicht ganz in Vergessenheit. Auch später bot sich mir Gelegenheit, in Ad-hoc-Formationen - oftmals von früheren Musikerkollegen gebildet -, Jazz zu spielen.
Mein heutiger Wohnort ist Divonne-les-Bains, das unweit von Genf in Frankreich liegt.

Frank Erzinger und Otto Flückiger

Trudi Flückiger & Ruth Pfister (Transkription, Übersetzung)
Ewald Käser (Textbereinigung)
Armin Büttner (Elektronische Bearbeitung)

(Eine Chronologie mit Discographie über Edmond Cohanier ist in Arbeit.)



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