Gino Paoletto

Mein Anfang

Ich wurde am 5. September 1923 in Amriswil als Sohn einer Italienerfamilie geboren. In Amriswil ging ich auch zur Schule. Ich erinnere mich sehr gut an Alberto Quarella und Mario Malgaroli, beide waren ein wenig älter als ich. Bei den Quarellas g
ab es zuhause viel Musik, Alberto spielte Violine und sein Bruder Peppi Klavier. Mein Vater hat auch mit Albertos Eltern gespielt. Vater Quarella spielte Violine und Mutter Quarella Klavier.

Auch in unserer Familie wurde musiziert. Mein Vater hiess Placido, er spielte Klarinette und Altosaxophon und leitete die kleine Band Golden Stars, bei der auch mein um zehn Jahre älterer Bruder Romeo als Saxophonist, Bassist und Schlagzeuger mitwirkte. Weder mein Vater noch mein Bruder sind jemals professionelle Musiker geworden.
Nach der Schule machte ic
h eine Malerlehre in St.Gallen. Ich hatte das Glück, dass ich zu einem Malermeister kam, der selbst Musik machte. Sein Name war Max Stecher, er spielte Saxophon und Klarinette. Er mochte mich gut und gab mir die Möglichkeit, nach der Arbeit bei ihm zu üben. Das war ja des "Lärmes" wegen nicht überall möglich.
"Golden Stars"; v.l.n.r: Elias Salvisberg (p), Placido Paoletto as, cl,ts), Gino Paoletto (tp, g), Romeo Paoletto (sax). Amriswil, 1939/40
Um jene Zeit lernte ich in St. Gallen auch den Schlagzeuger Max "Jimmy" Hug kennen. Jimmy fragte mich ob ich beim Orchesterleiter Max Bruggmann vorspielen möchte. Ich tat dies und Bruggmann war mit meinen Darbietungen zufrieden. So konnte ich 1942 seinem Orchester Teddy Bridgeman & his Band beitreten.
Bevor ich bei Bruggmann eintrat, spielte ich auch in der Band meines Vaters und Bruders. Wir spielten viel in Amriswil und Umgebung; so auch in St.Gallen, Kreuzlingen und so weiter. Hier fing ich an Tanzmusik zu machen. Unser Pianist hiess Elias Salvisberg, er ging später nach Brasilien. Das einzige vorhandene Bild der Band wurde bei einem Auftritt im Hotel Metropole in Amriswil gemacht.
Wir spielten oft in St. Gallen, denn wir waren eher nach St. Gallen denn nach Winterthur orientiert. Wir spielten dort im Lokal Du Nord, das gerade neben dem "Trischli" lag, es existiert heute nicht mehr. Dort fanden jeweils am Sonntagnachmittag Konzerte statt.
In der Band von Teddy Bridgeman bzw. Bruggmann konnte ich vieles lernen, wir hatten auch eine schöne Zeit zusammen, insbesondere wenn wir unter dem Motto "Argentinische Nächte" im Sommer im "Weissen Rössli" in Gstaad unter freiem Himmel auftraten.

In St.Gallen gab es gleichzeitig mehrere Etablissements, in denen Musik angeboten wurde. Es gab den "Schützengarten", das "Uehler", das "Du Nord" sowie die Tonhalle. Hier fanden jeweils die grossen Bälle statt; es gab den "Benteliball", veranstaltet von der Tanzschule Benteli, jeweils mit vielen Tanzschülerinnen und Tanzschülern. Dies war damals einer der ganz grossen Anlässe in St.Gallen.

Der Jazz hat in St.Gallen wohl Anfang der dreissiger Jahre Einzug gehalten,ältere Musiker von der damaligen Szene kenne ich allerdings nicht, ausser Max Bruggmann, der vielleicht etwa 15 Jahre älter war als ich.
Natürlich kannte ich auch Hans Moeckel. Er wohnte im gleichen Haus wie mein Lehrmeister. Ich weiss noch gut, wie Moeckel in Zürich Fagottstunden genommen hatte; er spielte damals bereits schon recht gut Klavier. Dies war so um das Jahr 1939/1940.

Vom Amateur zum Profi

Inzwischen hatte ich meine Malerlehre beendet und spielte immer noch mit Teddy Bridgemans Band. Während eines unserer Auftritte im "Trischli" hat mich Marco Bacchet gehört. Bacchet hatte eine gute Band beisammen, er suchte jedoch einen neuen Trompeter, denn sein bisheriger, Mäni Giger, musste in den Militärdienst einrücken. Ich sagte zu und begann somit meine Laufbahn als Berufsmusiker. Bei Marco Bacchet spielte ich etwa dreieinhalb Jahre; wir hatten zahlreiche verschiedenartige Engagements. Bacchets Formation bestand aus sieben bis acht Leuten. Mit dabei war der Pianist und Sänger Armin Bucher und zeitweise auch der Schlagzeuger Polo Guggisberg. Als Bassist und Sänger hatten wir den bekannten Jo Rolland aus Genf; als Sängerin wirkte Marcos Freundin Villo Dollar mit.

Ich war jung und neugierig, wollte wissen, wie es bei andern Orchestern zu- und hergeht. Deshalb verliess ich Bacchet und trat 1946 dem Sextett von René Bauer bei. Bauer war Pianist und stammte aus Zürich. In der Band machte auch der Schlagzeuger Hardy Kessler Sr. mit. Wir spielten im "Kursaal" in Lugano, in der "Börse" in Zürich und an weiteren Orten.

Mit Mac Strittmatter

In der Wintersaison 1946/47 kam ich dann zu Mac Strittmatter ins Hotel Carlton, einem feinen Platz in St. Moritz. Mac hatte wiederum Hardy Kessler sr. am Schlagzeug, den ausgezeichneten Posaunisten Bassoli sowie zwei bis drei weitere Musiker aus Mailand dabei. Als Sängerin wirkte Macs Frau Molly McCormick mit. Ich spielte Trompete und Violine, nicht aber Gitarre, die spielte Mac selbst.
Jahre später traf ich Mac wieder in Bern, er führte dort ein eigenes Musikgeschäft und stellte unter anderem auch ausgezeichnete Verstärkeranlagen zusammen. Das Geschäft lief aber nicht gut, Mac verliess hernach die Schweiz und übersiedelte nach Colombo, im damaligen Ceylon (Sri Lanka). Dort wohnte er komfortabel und sehr schön mit Sicht aufs Meer; er hatte sogar zwei Diener zu seiner Verfügung! Der eine war ziemlich musikalisch. Mac schenkte ihm ein Piccolo aus Basel, auf welchem er bald gut spielen konnte. Ich habe Mac 1977 und 1980 besucht, wir jammten zusammen auch in einem Club, wo er auftrat. Bei meinem letzten Besuch ging es Mac gesundheitlich aber nicht mehr gut. Kurze Zeit nach meinem Besuch starb er leider.
Nach dem "Carlton", St. Moritz hatte ich mit Mac noch im "Astoria" in Basel gespielt, dann hatte ich mehrere kürzere Engagements, so etwa im Rudi Bonzo Orchester, mit welchem ich im "Kursaal" in Bern auftrat und zugleich im Radiostudio Bern Aufnahmen machen konnte. 1948 ging ich dann mit der Band von Max Oberlé in die Sommersaison im Hotel Silvretta in St. Moritz, anschliessend traten wir im "Old India" in Lausanne auf.

Mit Bertalan Bujka in Spanien

Dann erhielte ich von Bertalan Bujka, dem ehemaligen Saxophonisten der Original Teddies, das Angebot in sein Orchester einzutreten. Bei Bujka hielt ich es drei und ein halbes Jahr lang aus, denn wir konnten meist an guten Orten auftreten. Die Musiker wechselten oft. Nach der Auflösung der Hazy Osterwald Bigband kamen die beiden ausgezeichneten Ex-Hazy-Leute Henk Martin, Tenorsax, der Mario Malgaroli ersetzte, und Jap Streefkerk, Piano hinzu. Der letztere war ein hervorragender Arrangeur, er schrieb die meisten Arrangements für Bujkas Orchester. Mit dabei war auch der Bassist und Sänger - ein gewiefter "Verkäufer" - Johnny Miller aus Genf, dazumal ein "Begriff" auf der Musikkzene.
Bertalan Bujka Orchester; Bertalan Bujka (as, im Vordergrund), Gino Paoletto (tp), Henk Martin (ts), vermutlich Walter Keiser (d), ...Siebenthal (sax). Filmfestival, Locarno, 1948
Mit Bujka spielte ich in Luzern, Arosa, am Filmfestival in Locarno, in Bern und so weiter. Anschliessend machten wir auch eine Tournée nach Spanien, spielten in Barcelona, dann für zwei Monate im "Titus" in Palma de Mallorca, wo auch schon Bob Huber und Hazy Osterwald aufgetreten waren. In Genf haben wir mit Bujka Platten aufgenommen, Rey, der dortige Radioleiter hatte die Sitzung organisiert. Ich weiss allerdings nicht, ob die Platten jemals herausgekommen sind. 1951 spielte ich in der Band des Saxophonisten Pitt Linder. Mit dabei war der ausgezeichnete Pianist Enzo Nestasio, der sich später als Barpianist einen Namen machte. Wir spielten zuerst im "Kurhaus" in Lenzerheide, dann von März bis April im "Regina" in Basel.

Gino Paoletto (tp) im Orchester von Buddy Bertinat, "Baur au Lac", Zürich, 1951
Filmaufnahmen mit Buddy Bertinat

Ich blieb für zwei weitere Monate, also von Mai bis Juni 1951, im "Regina". Mario Malgaroli, mein Jugendfreund aus Amriswil, mit dem ich bereits bei Bujka zusammengearbeitete hatte, leitete jetzt die Band. Inzwischen hatte ich wieder ein verlockendes Angebot in der Tasche: Ich konnte im Juni 1951 ins Orchester des Zürcher Nobeletablissements "Baur au Lac" eintreten, das von Buddy Bertinat geleitet wurde. In dieser Formation hatte es mir besonders gut gefallen.
Die Orchesterarrangements, die Buddy Bertinat schrieb, waren stimmungsvoll, wirklich einmalig. Aber das ist noch nicht alles: Da kam einmal ein russisches Tanzpaar daher, welches wir mit anspruchsvollen Klavierparts begleiten sollten. Bertinat sagte, "ich bin kein Konzertpianist, das ist unmöglich zu spielen, ich kann es nicht". Wir hatten einen Musiker in der Band, er hiess Tomajeff, er spielte bei uns Bass und Cello. Er ging an den Flügel und begleitete das Tanzpaar, absolut fehlerfrei. Einfach so. Das war für uns völlig überraschend, der Clou ist, wir erfuhren erst hinterher, dass Tomajeff auch diplomierter Konzertpianist war!
1951 und 1952 wurden in St. Moritz Aufnahmen für den Film "Palace Hotel" gedreht. Buddy Bertinats Band ist dabei in einigen Sequenzen, die allerdings im Studio in Zürich aufgenommen wurden, zu sehen und zu hören. Walter Baumgartner schrieb die Musik und Lys Assia ist die Sängerin. In einer Anfangsszene erkennt man Buddy Bertinat und unseren Drummer, sie schreiten zu ihren Instrumenten. Beim Auftritt des Orchersters erkennt man mich einmal an der Violine und später an der Trompete. Bei Bertinats Orchester wirkte ich während rund dreieinhalb Jahren mit.

Von Band zu Band

1953 schloss bis ich mich den Corky's, der Formation des Schlagzeugers Jimmy Hug an. Wir hatten gute Leute in der Band: Eddie Leubler am Altsax, er kam aus Rorschach; Michel Eberhardt, Tenorsax, ursprünglich aus Basel; Marc Junod, Piano, aus Neuchâtel sowie einen unbekannten Gitarristen und Sänger aus dem Baskenland, wir nannten ihn "El Bajonne". Hug kannte ich von St. Gallen her, er hatte mich damals bei Teddy Bridgeman empfohlen. Nun war er Leader einer eigenen Formation, die dann später für einige Jahre nach Indien reiste und im Maidens Hotel in New Dehli auftrat. Jimmy Hug war ein ausgezeichneter Drummer, er starb aber schon vor vielen Jahren. Mit den Corky's spielte ich in der Jonny Bar in Zürich, hatte aber noch weitere schöne Engagements , unter anderm. in Lausanne.
Jimmy Hug Band; v.u.n.o: Jimmy Hug (d), Eddie Leubler (as),Michel Eberhard (ts, cl), Gino Paoletto (tp, g), Marc Junod (p), "El Bajonne" (g,vo). "Jonny Bar", Zürich, 1953
Danach hatte ich noch weitere, eher kurzfristige Engagements in verschiedenen Orchestern. So im September 1953 mit dem Sänger und Bassisten Bert Ballmann im Zürcher "Tabaris", wo wiederum Michel Eberhard, Tenorsax, mit dabei war.
Dann spielte ich auch in der Kapelle von Hengartner im "Palazzo" in Zürich, abends von acht bis zwölf Uhr. Wir begleiteten dort verschiedene Attraktionen, so unter anderem Vico Torriani, der damals noch am Anfang seiner Karriere stand, anschliessend machten wir Tanzmusik. Vis à vis vom "Palazzo", in der gleichen Gasse im Niederdorf, war das "Rote Haus", das von demselben Patron wie das "Palazzo" geleitet wurde, hier traten wir ebenfalls auf.
Hengartner spielte Tenorsaxophon. Er ging dann weg zum SFM (Schweizer paritätischer Facharbeitsnachweis für Musiker), dort musste er Bands vermitteln. Unser Engagement lief dann ohne Hengartner weiter. Der Pianist und der Schlagzeuger kamen aus Zürich, und der Saxophonist RuediSpitz war aus Biel. Wir waren insgesamt mehr als ein Jahr im "Palazzo" engagiert.

In diese Zeit fällt auch ein Engagement in der Band von Morris Einhorn, und später wieder mit Mario Malgaroli (der sich inzwischen den Künstlernamen Mario Carol zugelegt hatte) im "Palace" inMürren. Bei diesem Engagement wirkte auch der ausgezeichnete Tenorsaxophonist Helmy Saad mit.

Mario Malgaroli Band; v.l.n.r: Unbekannt (d), Helmy Saad (tsd), Gino Paoletto (tp), Mario Malgaroli (ts), Paul Linder (p) Unbekant (b). "Palace Hotel" Mürren, Januar 1959
Weitere Engagements hatte ich vom Mai bis Oktober 1960 im Kursaal Bad Ragaz mit dem Orchester von Alberigo Marini, im Juli und August 1962 in Travemünde mit dem Vierzehnmann-Orchester unter Leitung von Barbieri (einem ausgebildeten Tenorsänger und sehr guten Geiger), bei dem auch der Sohn von Dölf Zinsstag als Flötist mitwirkte. Ich spielte auch im Quartett von Tai Wrong (der hiess in Wirklichkeit Schmid, seine Mutter war jedoch Thailänderin) im "Trocadero", Zürich.

Ein Höhepunkt meiner Laufbahn, der unvergesslich bleibt, ist eine - nebenbei gesagt sehr anstrengende - Tournée mit den weltbekannten Delta Rhythm Boys durch verschiedene Städte in der Schweiz. Das Gesangsquartett trat nicht mehr in der Originalformation auf, einige der Gründungsmitglieder waren bereits gestorben. Ich begleitete das Quartett auf der Gitarre, mit dabei waren auch drei amerikanische Musiker, an Piano, Bass und Schlagzeug, deren Namen ich leider vergessen habe.

Die Delta Rhythm Boys zur Zeit ihrer Europatournee

Nach Abschluss meiner Laufbahn als Berufsmusiker arbeitete ich zuerst im Musikhaus Bestgen in Bern, dann übernahm ich 1962 ein Musikgeschäft in Rorschach. Nebenbei spielte ich im Trio im Hotel Waldau. Mit mir war der Schlagzeuger Paul Coralli - er leitete später in Luzern eine Musikagentur - sowie der in der Ostschweiz bekannte Pianist Eugen Rohner aus Au im Kanton St.Gallen, der früher auch als Berufsmusiker gearbeitet hatte. Mit Rohner spielte ich insgesamt während achtzehn Jahren zusammen.
Nachdem ich im Jahr 1980 mein Geschäft in Rorschach aufgegeben hatte, übersiedelten meine Frau und ich nach Bern. Dort leitete ich im Ziebelegässli, in Berns Altstadt bis Ende Dezember 1991 wiederum ein kleines Musikgeschäft. Nebenbei spielte ich im Orchester von Walter Künzle. Heute gebe ich Musikunterricht und mache in meiner kleinen Gruppe noch etwas Musik, zum Beispiel alle vierzehn Tage an einer Nachmittagsveranstaltung. Ich spiele jetzt hauptsächlich Violine und Gitarre.

Interview (21.12.1998) und Text: Otto Flückiger
Transskription: Trudi Flückiger
Korrekturen: Ewald Kaeser
Elektronische Bearbeitung: Armin Büttne
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Pitt Linder (ts) und Gino Paoletto (tp). Lenzerheide, 1951
Timetable
5. September 1923 Gino Paoletto kommt in Amriswil zur Welt
1938 "Golden Stars"; Amriswil, Region Ostschweiz
1939 - 1942 Teddy Bridgeman; St. Gallen, Region Ostschweiz
1942 - 1945 Marco Bacchet; Gesamtschweiz
1946 René Baur; Lugano, Zürich
1946 - 1947 (Wintersaison) Mac Strittmatter; St. Moritz, Basel
1947 Ruedi Bonzo; Radio Bern
1948 (Juli - August) Max Oberlé, St. Moritz
1948 - 1951 Bertalan Bujka; u.a. Locarno, Arosa, Luzern,
Spanien, Bern
1951 (April) Pitt Linder; Lenzerheide, Basel
1951 (Mai - Juni) Mario (Carol) Malgaroli
1951 - 1953 Buddy Bertinat; Zürich, St. Moritz
1953 "Corky's", Zürich, Lausanne
1953 Bert Ballmann, Zürich
ferner mit:
Hengartner; Zürich

Morris Einhorn; Mürren
Taj Wrong; Zürich
1957 Mario (Carol) Malgaroli; Mürren
1958 - 1960 eigenes Trio; Ostschweiz
1960 (Mai bis Ende Oktober) Alberigo Marini; Bad Ragaz
Ab 1962 eigenes Musikhaus in Rorschach
1962 (Sommer) Barbieri; Travemünde
1962 - X Eugen Rohner; Rorschach
1980 - 1982 wohnt in Bern - eigenes Musikhaus bis ca. 1982
1980 -X Orchester W. Künzle; Bern
1988 -X eigenes Ensemble; Bern


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