Die Geschichte der Lanigiro - Teil 2

Die Profijahre (1933 bis 1939)

Jazz artfremd
1933, im Jahr als die Musiker der Lanigiro Hot Players ins Profilager übertraten, übernahm Adolf Hitler die Macht in Deutschland. Die sich an alle Schaltstellen drängenden Parteigänger des "Führers" starteten mit einer überheblichen Rassen- und Kulturpolitik, die sich selbstredend auch gegen die "artfremde" Jazzmusik richtete.
Zeitschrift "Die Bewegung": "Im Jazz macht sich ein rassisch und völkisch entwurzeltes Untermenschentum breit, dessen Tun als ein Gangsterunwesen auf kulturellem Gebiet bezeichnet werden muss (...) denn der aus dem Westen des amerikanischen Negermischlings geborene und uns - wie heute nachgewiesen ist - durch den Katalysator des Judentums eingeimpfte Jazz ist tief ins Blut einer unwissenden, kritik- und schutzlosen Menschenmasse eingedrungen."
Edmond Cohanier
Das in deutschen Grosstädten aufblühende Jazzleben geriet, von einigen Oasen abgesehen, bald einmal in Bedrängnis. Jazzlastiges wurde entweder in die Emigration oder in den kulturellen Untergrund verbannt. In der Schweiz waren die Auswirkungen indirekt spürbar, z.B. in der Zunahme emigrierter Musiker, aber auch in den erschwerten Auftrittsbedingungen, die unsere Landsleute in Deutschland auf sich nehmen mussten.

Der Saxofonist und Bandleader Edmond Cohanier spielte vor dem Krieg in Berlin und kann dazu Folgendes erzählen:
"Ich bekam im Dancing Ciro‘s in Berlin ein Engagement. Es stellte sich heraus, dass Eddie Brunner hier kurz zuvor gespielt hatte, er musste jedoch Hals über Kopf abhauen, um der Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen. Brunner hatte zu viel getrunken, rempelte SS-Leute an und sagte ihnen die Wahrheit. Das war sehr gefährlich um jene Zeit. Der Direktor des Etablissements sagte ihm: 'Du musst sofort packen und verreisen', und am andern Morgen um sechs Uhr brachte er ihn mit dem Auto auf den Flugplatz Tempelhof. Die Gestapo kam um acht Uhr und wollte Eddie abholen. Ich konnte ohne Verzug Brunners Platz einnehmen. Der Direktor offerierte mir 60 Mark pro Abend, dies war fast ein Vermögen. Es gab Leute, die im Monat nur um die 180 Mark verdienten!
Da das Lokal von den Behörden kontrolliert wurde und ich nicht beim Reichskammer-Musikverband eingetragen war, wurde die Situation für mich allmählich schwierig. Zudem konnte ich kein Geld in die Schweiz überweisen. Ich reiste also wieder zurück."

Diese Situation hatte für das Schweizer Musikleben keine allzu grossen Auswirkungen. Sie brachte in einigen Fällen sogar Vorteile. So führte sie etwa zu einer Standortbestimmung und somit zum Erstarken einer eigenständigen Musikszene, in deren Rahmen sich auch die Lanigiro entfalten konnten.

Sieben Mann mit ihren 34 Instrumenten ...
Zeitschrift "Jazz": "Wir kannten die Lanigiro bisher nur als erlesene Jazzspieler, waren aber umso mehr überrascht, als sich vier Mann zu einer originellen Ländlerkapelle formierten (Klarinette, Trompete, Akkordeon, Basstrompete oder Bassgeige) im entsprechenden Tenue ...
Dass die Lanigiro auch verstehen, das verwöhnteste Publikum zufriedenzustellen, zeigen ihre Konzerte im grossen Musiksaal, wo sie einmal per Woche an Stelle des grossen Symphonieorchesters spielen.
Den Clou der Abende im Kursaal-Dancing bilden aber - neben der rhythmisch-präzisen und in sehr gutem Stil interpretierten Tanzmusik - unfehlbar die Bühnennummern des Orchesters, in welchen die sieben Künstler Gelegenheit haben, neben ihren musikalischen auch ihre schauspielerischen und humoristischen Eigenschaften zur Geltung zu bringen. Speziell die beiden Parodien über das Konzertstück 'Auf dem persischen Markt' und über das Lied 'Freut euch des Lebens' sind Glanznummern für das Orchester und auch für die Kursaalkasse; denn an den Abenden mit diesen Variété-Einlagen ist der Theatersaal bis auf den hintersten Platz besetzt.
Nicht zu vergessen sind die Vokal-Darbietungen des ganzen Orchesters und auch einzelner Mitglieder in drei Sprachen. Neben den vokalinterpretierten Tanznummern verstehen sich der Drummer und der erste Saxophonist auf Couplets im reinsten Stil.
Einen ganz eigenen Einschlag gaben die Lanigiro Hot Players auch wieder in ihren Tenues: nachmittags hellgraue Anzüge, abends blaue Smokings, an den Galaabenden schwarze Smokings mit weisser Weste."

Eric Landsrath.
Dem Leser dieser Zeilen fällt auf, dass sich das Verständnis des Berichterstatters in Bezug auf die Unterhaltungsmusik praktisch auf die Zuordnung zu traditionellen oder neuen Musikformen beschränkt. Dies ist beileibe kein Einzelfall. "Fremdländisches", etwa Tango, Rhumba, ja selbst der "Cowboy-Song", wurden meist pauschal dem Jazz zugeordnet - besser gesagt: untergejubelt. Das Prädikat "Jazz" wurde dadurch zu dem unentwirrbaren Begriffsknoten, der er bis heute geblieben ist.

Lanigiro professionell
Im November und Dezember 1933 war es so weit. Im Rahmen eines sechswöchigen Engagements im Basler "Odeon", präsentierten sich die Lanigiro Melody Kings als Berufsorchester. Die Stammbesetzung umfasste die folgenden sieben Musiker: Eric Landsrath (tp), Dolf Zinsstag (tb,arr), René Schmassmann (as,cl), Bruno Bandini (ts,viol), Werner Thöni (p,arr), Hans Koerfgen (b) und Roger Beuret (d) - die zahlreichen Nebeninstrumente sind hier nicht aufgeführt.

Nach wie vor verzichteten die Mitglieder auf eine hierarchische Führung des Orchesters, das Geschäftliche lag in den Händen von Dr. Oswald "Osie" Wagner, Manager und bekanntlich einer der Mitbegründer der Band. Die anfallenden Aufgaben wurden unter den weiteren Mitgliedern meist in kollegialer Übereinkunft bewältigt.

Showtime im Casino in Bern, April 1934. V.l.n.r: Bandini, Schmassmann, Beuret.
Hans Koerfgen: "Die Lanigiro-Band war auf gegenseitige Kameradschaft aufgebaut, und wir hatten keinen eigentlichen Leader. Jeder war auf seinem Instrument ein Spezialist und gab seine Anregungen, was man im Orchester gegebenenfalls noch machen könnte. Die Gagen waren - abzüglich der Spesen - aufgeteilt. Erst später, in Deutschland, wurde der Band von der Reichsmusikkammer ein Gesamtverantwortlicher aufgezwungen."

Für das Szenario waren René Schmassmann (Jazz) und Bruno Bandini (Konzert) zuständig. Die musikalischen Arrangements stammten hauptsächlich von Dölf Zinsstag und Werner Thöni. Attraktionen und "Special effects" waren die Domäne des Schlagzeugers Roger Beuret.

Mit der Zeit schien jedoch René Schmassmann - gewollt oder nicht - in die Rolle des Bandleaders hineinzuschlüpfen. In Prospekten, Inseraten, bei Konzertkritiken und so weiter figurierte er zunehmend als Verantwortlicher des Unternehmens, auf der Bühne unterschied er sich auch in der Bekleidung von den restlichen Mitgliedern.

Bruno Bandini: "Später, in Deutschland, mussten wir jemandem die Leitung übergeben, die Deutschen wollten unbedingt, dass wir auch einen 'Führer' haben!"

Auch im Schnee ein Team. Wintersaison 1933/34. V.l.n.r: Schmassmann, Landsrath, Bandini, Thöni, Koerfgen, Zinsstag, Beuret.
In der zuvor genannten Besetzung absolvieren die Lanigiro Melody Kings im Winter 1933-34 eine erfolgreiche Wintersaison im Hotel Suvretta in St. Moritz.
Roger Beuret: "In St. Moritz herrschte Hochbetrieb, und wir hatten grossen Erfolg. Einmal mussten wir sogar als Köche verkleidet auftreten. Der Chef des Suvretta", Hans Bon, war im Militär ein hohes Tier, uns gegenüber benahm er sich aber als glatter Siech. Er konnte ein wenig 'Schweizerörgeli' spielen; und wenn er einen geladen hatte, sagte er: 'chömmed Buebe, no eine ...' dann mussten wir ihn oft bis in den Morgen hinein begleiten."
René Schmassmann: "Wir kamen beim Publikum im "Suvretta" gut an und der Manager wollte uns auch für die Sommersaison haben. Wir hatten jedoch bereits andere Pläne. Das erboste ihn."

Das durch die Lanigiro verstärkte Kurorchester in Interlaken, Sommer 1934.
Für das nachfolgende Engagement im April 1934 im Casino in Bern wurde das Orchester auf zehn Mann aufgestockt. Anschliessend spielten sie wieder in der Stammbesetzung von sieben Mann, vom Mai bis September 1934, im Kursaal in Interlaken. Die Bandmitglieder wurden zeitweilig auch in das dortige Kurorchester unter der Leitung des Basler Dirigenten Hans Haug eingegliedert.

Bruno Bandini: "Wir begannen die Saison, spielten die Konzerte zuerst mit unseren sieben Leuten. Dann kam das Grossorchester hinzu, wo wir ebenfalls mitwirkten.
Abends traten wir als Tanzband in der Bar auf. Der Dirigent Hans Haug war ein kleiner Luftibus, er war von der Direktion des Kursaals separat als Dirigent engagiert worden. Im Kursaalorchester spielten auch zwei Damen mit, deren Namen ich mich nicht mehr entsinne. Ich erinnere mich nur noch, die eine 'stank' immer nach Schweiss - verdammt nochmals - du konntest kaum daneben stehen!
Damals trugen wir Lanigiro-Leute moderne, neue Leinenkleider, darin kamen wir aber immer grausam verrumpfelt daher ..."

Lanigiro Top Brass. Januar 1935 in Arosa. V.l.n.r: Cova, Zinsstag, ?, Landsrath, Miedl.
Was nun den Bekanntheitsgrad der Lanigiro in der gesamten Schweiz anbelangt, stand es noch nicht zum Besten. René Schmassmann: "Schweizer Tanz- und Showorchester gab es in der Vorstellung der Leute noch nicht. In Interlaken wurden wir vom Personal des Kurhauses sogar hochdeutsch angesprochen."

Nach einem Engagement mit neun Mann in der Brasserie Metropole in Lausanne im Oktober 1934 folgte im November ein Re-Engagement im Stadtkeller in Luzern.

Der Bassist Hans Koerfgen schied aus und wurde durch den jungen Bassisten und Sänger Guido Cova, der nebenbei auch noch Posaune spielte, ersetzt.

Hans Koerfgen: "Im Laufe der Zeit hatte der eine oder andere eine Familie und wollte nicht mehr alles mitmachen. Aus diesem Grunde bin auch ich ausgetreten."

Neu hinzu kamen auch der Altsaxofonist Wolfgang 'Wolf' Kirbach und der Trompeter Charles Miedl.

Bruno Bandini: "Miedl war ein ganz ordentlicher Trompeter, er spielte nebenbei
auch Posaune, er war aber kein Solochorus-Mann."


Roger Beuret: "Charles Miedl war Tscheche, er spielte Trompete und Posaune und war etwa ein Jahr bei uns. Er hatte einen sehr schönen Ton, spielte aber etwas zickig."

Die Band präsentierte sich jetzt in ihrer Neun-Mann-Besetzung wie folgt: Eric Landsrath, Charles Miedl (tp), Dolf Zinsstag (tb), Wolfgang Kirbach, René Schmassmann, Bruno Bandini (saxes), Werner Thöni (p), Guida Cova (b, vo), Roger Beuret (d, xyl).

Jumpin' at the Sihlporte
In den dreissiger Jahren herrschte zwischen den beiden Zürcher Nachtclubs Esplanade und Grand Café Sihlporte ein knallharter Konkurrenzkampf. Die Manager beider Lokale versuchten sich mit der Verpflichtung prominenter Grossorchester zu übertrumpfen. Das Grand Café Sihlporte setzte dabei - sehr zur Freude des Publikums - hauptsächlich auf ausländische Formationen. Beide Etablissements übernahmen sich dabei finanziell und gingen ein.
Nebst den bekanntesten europäischen Ensembles, wie denen von René Dumont, Alex Hyde, Marek Weber, kamen häufig auch Amerikaner in die "Sihlporte". So zum Beispiel Sam Wooding, Arthur Briggs, Bobby Martin, Benny Payton, Valaida Snow.
Schweizer Ensembles, wie die Quickers, die Magnolians, das Edmond-Cohanier-Orchester konnten in der "Sihlporte" nur ausnahmsweise, bestenfalls zur Überbrückung auftreten.

Werbung für das Engagement in der Sihlporte.
Dies war für einmal nicht der Fall. Die Lanigiro Hot Players konnten im Mai 1935 zu einem vierwöchigen Engagement aufspielen, wobei ihnen ein Grosserfolg beschieden war. In der Folge wurden sie in den nächsten zwei Jahren (Oktober 1936 und Januar 1937) re-engagiert.

"Tages-Anzeiger", Zürich, 10. Mai 1935: "Diese neun versierten Hot-Spieler verdanken ihren internationalen Ruf wohl vor allem ihrer technisch virtuosen Perfektion, die an die besten amerikanischen Bands erinnert. Der hot style dominiert, daneben sind die Lanigiro Hot Players aber auch sehr amüsant in ihrer Bühnenschau."

René Schmassmann: "Für uns Schweizer fast unerreichbar war die "Sihlporte" in Zürich, wo wir, entgegen allen Erwartungen, einen unerhörten Erfolg hatten, den bis anhin nur Ausländer bekamen. Von dort an standen uns verschiedene weitere Häuser in der Schweiz offen, allerdings nur gegen eine bescheidene Gage!
Ein Agent aus Prag machte uns ein Angebot für eine neun Monate dauernde Tour durch Russland. Ich wollte annehmen, aber der Rest der Band war nicht begeistert. Jack Hylton war mit seinem Orchester bereits dort, die Musiker kamen zurück mit Pelzmänteln und Brillanten, sie durften jedoch kein Geld aus Russland ausführen.
In der 'Sihlporte' bekamen wir aber auch ein Angebot für Berlin."


Wintersaison 1934/35 in Arosa. V.l.n.r: Zinsstag, Landsrath, Cova, Beuret.
Die jetzige Lebensgefährtin von Roger Beuret, Frau Fernande Meyer, erinnert sich:
"In den dreissiger Jahren durfte eine wohlerzogene Tochter aus so genannt gutem Hause nur in Begleitung tanzen gehen. Beim Einkaufen mit meiner Mutter trafen wir zufälligerweise meinen Cousin, der ein guter Tänzer war. Er lud uns zum Thé-dansant ins Grand Café Sihlporte ein. Dort tanzten wir zu den Rhythmen der Lanigiro-Band Foxtrott, Tango und English Waltz. Wir amüsierten uns köstlich über den Schlagzeuger der Band, der immer wieder für humorvolle Einlagen sorgte."

Die Winterferien verbrachte Fernande Meyer mit ihren Eltern in Arosa. Wiederum spielten die Lanigiro im dortigen Kursaal. Dass sich die Wege des Lanigiro- Schlagzeugers mit ihr nach Jahrzehnten wieder kreuzen würden, das ahnte Meyer damals nicht. Sie lernte ihn später als Hauslieferanten für französische Spitzenweine kennen. Heute verbringen sie ihren Lebensabend gemeinsam im Tessin, was einen Freund zu folgendem Ausspruch veranlasste: "Clever, dieser Roger, erst verkauft er ihr die Weine, dann trinkt er sie!"

Der Erfolg der Lanigiro Hot Players in der Sihlporte wurde von der Direktion des Etablissements in einem Empfehlungsschreiben wie folgt gewürdigt:

..."Es ist nach meiner Ansicht unbedingt das beste Schweizer Orchester und jedem ausländischen Orchester in der gleichen Besetzung ebenbürtig. Ich werde nicht verfehlen, die Lanigiro Hot Players bei in- und ausländischen Kollegen wärmstens zu empfehlen. 31. Mai 1935, sign. Fritz Willers i.V. Dir. Keller."

Die "Sihlporte" war zweifelsohne das Sprungbrett für nachfolgende Karriereschritte, die die Band auch ins Ausland führten. Nicht ganz unbeteiligt am Erfolg war der Manager der Band, Dr. Oswald "Osi" Wagner. Attraktive Plakate, Werbematerial und eine Fotoreportage in der Nummer 9/37 der populären Zeitschrift "Sie & Er" festigten den Ruf der Lanigiro Hot Players.

Die Kunst des Schneidens von Wachsfolien.
Noch während ihres Aufenthaltes in Zürich machte das Orchester private Tonaufaufnahmen - sogenannte "Acetate" - zu Demozwecken, die leider nie im Handel erschienen. Zwei Titel sind bekannt: "After You've Gone" und "Mood Indigo". Soweit sich die Musik von den mechanischen Störgeräuschen des Trägermaterials trennen lässt, hört man überraschend reife, "jazzmässige" Interpretationen, die sich musikalisch stark an das Orchester von Duke Ellington anlehnen. Trotz des beinträchtigten Hörgenusses, handelt es sich hier um aufschlussreiche Tondokumente über das Wirken der Lanigiro Hot Players um jene Zeit.
Dennoch wäre es übertrieben, die Lanigiro Hot Players zur Nummer eins auf dem Schweizer Jazzplatz hochzustilisieren. Die Konkurrenz unter den Schweizer Orchestern war bereits sehr gross. Unter der Leitung des charismatischen Musikers Teddy Stauffer hüpften die Original Teddies bei ihren Heimspielen von Erfolg zu Erfolg und gewannen auch in der Schweiz an Popularität. Zudem profilierte sich in der Westschweiz das Grossorchester von Bob Engel, das bei Radio Sottens unter Vertrag stand und fast täglich auf Sendung war. Diese Radiosendungen wurden in der gesamten Schweiz wohlwollend aufgenommen.
Weitere Bands, die vorübergehend Aufmerksamkeit erweckten, sich jedoch nicht durchsetzten, waren Geo Lanz' Soft Players aus der Westschweiz und Walter Baumgartners Magnolians aus Zürich.

Bis zum Zeitpunkt ihres ersten grossen Auslandsengagements, herrschte bei den Lanigiro Hot Players eher eine Alltagsstimmung. Sie absolvierten Engagements im Stadtkeller in Luzern, im "Seefeld" in Biel, im "Schweizerhof" in Olten und wiederum im Basler Sommercasino.

Roger Beuret: "Während wir in Basel waren, spielten wir an den gewöhnlichen Nachmittagen auch im Restaurant des Warenhauses 'zur Rheinbrücke', hauptsächlich vor Hausfrauen. Wir nannten sie damals die 'Tärtlimütter'."

1936, erste Sommersaison in Knokke, Belgien. V.l.n.r: (hinten) Layat, Kirbach, Schmassmann, Zinsstag, Thöni; (vorne) Pinkus, Beuret, Landsrath.
Belgium Stomp
8. Juli 1936. Die Lanigiro Hot Players treten ihr erstes, bedeutendes Engagement im Ausland an. Ausser zwei neuen Mitgliedern aus Deutschland, die Trompeter ... Jacobi und Otto Pinkus, verfügt keiner der Lanigiroaner über nennenswerte Auslandserfahrungen. Dazu kommt, dass die Lanigiroaner gegen zwei mit allen Wassern gewaschene Jazz- und Unterhaltungsorchester anzutreten hatten: gegen das mit farbigen Amerikanern besetzte Orchester von Willie Lewis und die französische Bigband von Ray Ventura. Die Konkurrenz seitens der Prominenz aus dem Bereich der Klassik sei in diesem Zusammenhang erst gar nicht erwähnt. Dem einen oder anderen Lanigiroaner dürfte im Hinblick auf die kommende Bewährungsprobe die Knie gezittert haben.

Nach dem Grundsatz "jetzt erst recht!", und moralisch gestärkt durch die sie begleitenden Damen (welche sich gediegende Ferientage am Meer nicht entgehen lassen wollten) behaupteten sich die Langiroaner erfolgreich bei allen "battles of the bands". Zusätzlich unterstützt durch einige Schlachtenbummler aus der Schweiz, wie die Ex-Bandmitglieder Hans Philippi und Manfred Werthemann.

Manfred Werthemann schrieb in Postkarten an die Familie daheim: "Die Lanigiro sind ganz erstklassig beisammen. Auch das Publikum ist ganz gross, gestern alles im Frack, - ein Abendkleid besser als das andere, absolut 'le chic de Paris, Bruxelles et Londres'. Das ist etwas für junge und alte 'Gluschtis'."

Und, etwas später: "Nun ist hier Vollsaison. Als zweites Orchester spielen Schwarze, aber ganz tutti. Daneben noch 65 Mann Sinfonieorchester. Unsere haben nach wie vor grossen Erfolg, sie haben sich in den letzten 14 Tagen noch ganz bedeutend verbessert."

René Schmassmann: "In Knokke spielten abwechslungsweise immer zwei Orchester. Wir waren das Hausorchester und den anderen Posten hatten wechselnde Orchester inne. Nebst dem Orchester Willie Lewis kamen auch Benny Carter, Bill Coleman, Herman Chittison und Coleman Hawkins als Gastsolisten auf Besuch. Bei Hawkins gingen wir alle 'runter auf die Knie', so gut hatte er gespielt! Dennoch gab es hier keine Jamsessions zwischen uns und den Amerikanern.
Manchmal spielten wir von den Lanigiro auch im grossen Konzertorchester mit. Ich spielte zum Beispiel den Glissando- Klarinettenpart in Gershwins 'Rhapsody in Blue'. Die meisten von uns waren technisch durchaus fähig genug, um im dortigen Konzertorchester mitzuwirken."


Strandbadleben, 1936 in Knokke, mit Besuchern aus Basel. V.l.n.r: Layat?, Cova, Zinsstag, Besucher Manfred Werthemann, Schmassmann, Pinkus, ?, ?, Beuret, Landsrath, Frau Bandini, Bruno Bandini.
Veteranen der Lanigiro schwärmen noch heute von den wonnevollen Tagen an Belgiens Atlantikküste. Der frisch gebackene Amateurfilmer Eric Landsrath konnte zahlreiche Begebenheiten auf 16mm-Filmstreifen festhalten.

Offensichtlich war auch die Direktion des Casino in Knokke von der Qualität der Lanigiro Hot Players überzeugt, sie wurden jedenfalls für die kommende Sommersaison 1937, nachfolgend dann auch für die Jahre 1938 und 1939, re-engagiert.

Ein Jahr später, im Sommer 1937, spielten die Lanigiro Hot Players, nebst dem französischen Unterhaltungsorchester Jo Bouilon, wiederum als Hausorchester im Casino in Knokke. Im August desselben Jahres gaben beide Orchester auch Konzerte im Casino-Kursaal in Ostende, das von den gleichen Patrons betrieben wurde. In Ostende wurde zeitweise auch das britische Orchester von Bert Ambrose beigezogen.

1937, die zweite Sommersaison im Casino in Knokke. V.l.n.r: Thöni, Cova, Zinsstag, Schmassmann, Layat, Bandini, Berry, Kirbach, Landsrath.
Das reichhaltige Angebot an Klassik im Knokker Casino beinhaltete auch ein Symphonieorchester unter der Leitung von Jozef Schmidt, die Sängerin Erna Sack, den Pianovirtuosen Walter Rummel sowie verschiedene Opernstars französischer Bühnen.

1937 traten die Lanigiro in Knokke in der folgenden Besetzung auf: Eric Landsrath und Hans Berry (tp), Julian Layat (tb, vo), René Schmassmann, Bruno Bandini und Wolfgang Kirbach (sax), Werner Thöni (p), Dolf Zinsstag (g), Guido Cova (b,vo), Roger Beuret (d).

Zuvor, im März bis April 1937, absolvierten die Lanigiro ein Engagement in Hamburg. Darüber berichten wir am Ende des nachfolgenden Abschnittes.

Im Anschluss an die Sommersaison 1937 in Knokke reiste die Band direkt nach Berlin, um ein zwei Monate dauerndes Engagement im Delphi-Palast anzutreten. Die Formation wurde durch die Zuzüger Werner Garow (tp), Willy Berking (tb), Willy Mende (sax) und Egide Van Gils (zweiter Pianist) zu einer waschechten Vierzehn-Mann-Bigband vergrössert. Garow, Berking und Mende waren Deutsche und wurden durch die damalige Reichsmusikkammer vermittelt. Kukucksei: einer der Neumitglieder entpuppte sich hinterher als Nazianhänger!

In dieser Besetzung nahm das Orchester am 13. September 1937 vier Titel für die Deutsche Schallplattenmarke Odeon auf. Julian Layat singt auf allen vier Titeln und das Orchester präsentiert sich leider nicht von seiner jazzmässigen Seite.

Die Reichsmusikkammer
René Schmassmann: "1937 fand in Berlin eine grosse Parade statt, es war Benito Mussolinis erster Besuch bei Adolf Hitler. Dazu hatten wir einen Tag frei-bekommen.
Wir waren einer starken Kontrolle durch die Reichsmusikkammer unterworfen, weil wir auch so genannte. 'jüdische Musik' gespielt haben.
Einige hundert Meter neben dem Delphi-Palast, wo wir spielten, war das Kino Broadway untergebracht in einem Palast aus Marmor. Nach der Kinovorführung kamen die Leute oft zu uns und wollten die eben gehörten Filmmelodien nachverdauen. Wir hatten sie alle im Repertoire, währenddem die deutschen Bands sie ja nicht spielen durften.
Von den Nazis argwöhnisch überwacht. Die Lanigiro im Berliner Delphi-Palast, September/Oktober 1937. V.l.n.r: (rhythm) Thöni, Van Giles, Cova, Beuret, Zinsstag; (tb) Layat, Berking; (tp) Landsrath, Berry, Karow; (sax) Schmassmann, Bandini, Kirbach, Mende.
Ich hatte dabei ein besonderes Erlebnis. Während vierzehn Tagen, jeden Nachmittag beim Tanztee, kam in der Pause einer mit der Mappe in der Hand ans Podium und überreichte mir Notenblätter mit Orchestrationen von neuen deutschen Tanznummern, wie sie damals gedruckt wurden. Ich nahm die Sache jeweils entgegen und reichte sie nach hinten ins Orchester. Nach vierzehn Tagen hatten wir bereits einen ziemlich hohen Stoss Noten beisammen.
Dann kam es zu einem Vorfall: Ich erhielte eine Vorladung von der Reichsmusikkammer. Dort warf man mir vor, keine deutsche Musik zu spielen. Auf dem Rückweg besuchte ich eine Buchbinderei, kaufte einige leere Mappen und ging ins 'Delphi' zurück. Dort riss ich die Noten auseinander und verteilte sie in die Mappen. Weil in unserer Band alles wirklich gute Musiker waren, die fliessend ab Blatt lesen konnten, erlaubten wir uns, die Sache zuvor nicht einzuproben.
In gewissen Momenten spielten wir dann eine Serie mit deutscher Tanzmusik, machten die Mappen wieder zu. Nun kam der Vorwurf, wir würden zwar jeden Abend eine Tanzserie spielen, dies aber ohne jegliche Freude!

An einem Abend bekam ich während dem Spielen heimlich einen Zettel zugeschoben, vom Patron des Hauses mit Bleistift geschrieben, darauf stand: 'Achtung Reichsmusikkammer hier'. Ich schob den Zettel in die Jacke und ordnete an, aus der anderen Mappe deutsche Musik zu spielen. Nach dieser Serie wurde ich von vier Leuten an den Tisch gerufen, die mir befahlen, die staatlichen Musikergewerkschafts-Ausweise, die jeder Musiker wie einen Pass bei sich haben musste, zur Kontrolle einzusammeln. Dann wurden die Ausweise mit einem kleinen Taschenstempel abgestempelt. Als sie fertig waren, sagte der Sprecher zu mir: 'Nicht wahr, man hat sie avisiert, dass wir hier sind, man hat ihnen einen Zettel gebracht?' 'Nein, das war ein Wunschzettel', sagte ich! 'Nein, da hat es ja auf jedem Tisch ein Telefon, wo man Partner zum Tanz bitten und Musikwünsche anbringen könnte, warum haben Sie denn sofort die andern Mappen hervorgeholt?' 'Um diese Zeit spielen wir sowieso immer eine halbe Stunde deutsche Tanzmusik', sagte ich schlagfertig. Sie konnten nichts tun, sie mussten es mir abnehmen."


Delphi-Palast, Berlin, Sept/Okt. 1937. V.ln.r: Thöni, van Giles, Schmassmann, Cova, Zinsstag, Bandini, Beuret, Kirbach, Karo, Mende, Berry, Berking, Landsrath.

Roger Beuret: "Für die Nazis waren wir eine halbe Judenband, in ihren Augen spielten wir 'jüdisch-kapitalistische Drecksmusik'. Hingegen waren wir in Berlin bei den Frauen eine besondere Attraktion, an Nachmittagen sassen sie in den vorderen Tischreihen, sie sind richtig auf uns Ausländer gestanden. Jedenfalls waren viele Deutsche verrückt nach unserer Musik, denn sie selbst durften sie nicht spielen.
Und weil wir keine Deutschen waren, konnte die Reichsmusikkammer nichts gegen uns unternehmen. Trotzdem gab es manchmal heikle Situationen, wir kriegten nicht alles mit, was sich wieder zugetragen hatte, René Schmassmann konnte es oft erst hinterher erzählen."

Dolf Zinsstag: "Im 'Delphi' habe ich ein zehn Minuten dauerndes Arrangement über 'St. Louis Blues' geschrieben, mit welchem wir einen unerhörten Erfolg hatten."

Roger Beuret: "In Berlin gab es ein Lokal, das die ganze Nacht über geöffnet war. Es wurde hauptsächlich von Musikern, welche bis spät in die Nacht hinein arbeiten mussten, oder von den Nachtschwärmern besucht. An einem Abend gingen wir Schweizer hin, hatten es lustig und wurden dabei auch etwas laut. Da stand einer der Gäste auf und sagte: 'Könnt ihr nicht leiser sein, überhaupt - wer ist der Führer an eurem Tisch?' Da stand ich sofort auf und rief laut: 'Wir sind Schweizer und haben keinen Führer nötig! 'Meinen Sie dies etwa politisch?' sagte er. 'Das chönne Sie uffnäh, wie Sie wänn', rief ich zurück. Meine Kollegen zogen mich auf meinen Stuhl zurück. Im Nachhinein muss ich sagen, das war schon ziemlich riskant gewesen, aber hinterher passierte nichts."

Der "Gröfaz" besucht seine Reichshauptstadt.
Zeitschrift "Das Schwarze Korps" - eine laute Stimme von der Gegenseite:"Im 'Delphi-Palast' herrscht wieder einmal die ordinäre Linie. Dieses Haus kündigte tagelang vorher in Inseraten an, dass ab 1. September 'die grosse Überraschung' für Berlin dort zu hören sei. Nun, es war bestimmt keine Überraschung, denn man ist solche Dinge vom 'Delphi' reichlich gewöhnt. Von wirklich moderner Tanzmusik keine Spur! Gewiss, Tanzmusik wird für Tanzende gespielt - aber doch nicht für tanzende und heulende Derwische. Dazu fehlt dieser Musik auch noch das, auf was sich die ganz extreme Richtung sonst immer noch berufen kann: der Rhythmus. Auf dieses Gezappel kann man überhaupt nicht mehr tanzen. Das haben sogar ein paar Juden festgestellt, die da an einem Tische sassen und sagten: 'Jedenfalls ist das keine Musik...' Also, wenn‘s schon die Juden sagen...
Schmassmanns Lanigiros nennt sich das. Wenn man das Wort 'Lanigiro' umdreht, heisst es 'Original'. Das soll ein Witz sein - wahrscheinlich. Im übrigen fällt das unter das Decknamenverbot, oder nicht? Im Tango sind die Leute sehr schwach, im Jazz sind Ansätze vorhanden, die aber von der kalten, jüdischen Mache jeweils überdeckt werden. - Erfreulich ist, dass sogar die Leute vom 'Delphi', die doch bestimmt etwas gewohnt sind, sagen: 'Seltsam, dass so eine Musik überhaupt gemacht werden darf.' Sogar ein Teil des Publikums des Berliner Westens, das unseren kulturellen Begriffen sonst oppositionell gegenübersteht, geht also nicht mehr mit. Und das sagt genug."

René Schmassmann: "Dann kam einmal der Patron vom Dancing 'Esplanade', wo seit Jahren Barnabas von Gézy spielte, vorbei und sagte: 'Wissen Sie, ich wollte bei mir mal was anderes haben, aber ich kann den Gézy doch nicht rausschmeissen, ich könnte Sie einmal als Ersatz nehmen, wenn der Gézy auf Tournee ist. Eure Musik möchte ich zuerst im Lokal ausprobieren, wegen der Kundschaft. Anderntags hatten wir frei, und er holte uns mit unseren Instrumenten ab. Anfänglich 'meckerten' unsere Leute - ausser Willy Berking - wegen dem verlorenen freien Tag, doch dann spielten sie flott mit.
Noch während dem Spielen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass wir beobachtet würden. Dann wurde ich von demselben Kerl, der mir Tage zuvor Vorwürfe gemacht hatte, herausgeholt. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: 'Mein lieber Schmassmann, was machen Sie denn jetzt wieder für eine Dummheit? Sie haben doch für diesen Ort keine Arbeitsgenehmigung'. 'Wir spielen hier gelegentlich zum Spass', antwortete ich. 'Rufen Sie mal den Direktor des Hauses', sagte er zu einem Kellner. 'Wen darf ich melden', fragte dieser. 'Dienstlich im Hause', brüllte der Kerl. Der Direktor des Hauses kam. 'Sagen Sie mal, was bezahlen Sie dem Schmassmann?' , fragte der Kerl. 'Nichts, nur den Transport', antwortete der Gefragte.
Auch das hatte wieder geklappt. Der Kerl musste sich zufrieden geben und zottelte ab mit der Drohung, dass wir unsere Pässe ohnehin bald an der Grenze abholen könnten!
Anschliessend rief mich der Chef in sein Büro und drückte mir einen netten Betrag in die Hand. Wir kamen einmal mehr ungeschoren davon und gingen anschliessend sogar noch nach Hamburg."

Das Schwarze Korps: "Fordert in den Gaststätten deutsche Musiker - Lehnt Hot und Swing als undeutsch ab. Und dies ist noch viel mehr berechtigt als die Schlagzeilen: Trinkt deutschen Wein! Oder: Kauft deutsche Waren."

Rene Schmassmann: "Teddy Stauffer, der damals in Berlin im "Femina" spielte, war schon etwas schlauer, er passte sich den Wünschen eher an und spielte weitaus mehr deutsche Musik als wir. Der hatte meines Wissens auch keine besonderen Schwierigkeiten mit der Behörde gekriegt.
In Berlin bewohnte ich in einer kleinen Pension bei einer Witwe ein Zimmer. Dort war auch Fred Raymond, der Komponist von 'Die Maske in Blau' einquartiert.
An einem Morgen lag auf der Postablage ein Brief, adressiert an einen Herrn Patrick Hitler. Ich fragte die Wohnungsinhaberin: 'Sie, wohnt bei Ihnen der Hitler?' 'Pssst, um Gotteswillen, passen Sie auf, machen Sie nichts, dies ist der Neffe des Führers!' ,sagte sie verängstigt.
Dieser Patrick Hitler hatte sein Zimmer gerade neben dem meinen und spielte auf seinem Grammofon öfters tolle Schallplatten ab. Da bekam ich aus Basel eine Testplatte, 'Sag nicht Adieu', von Egon 'Fernandez' Zenker mit Pauli Schär am Klavier zugeschickt, konnte sie aber nicht abhören. Ich klopfte an Hitlers Türe. Er kam heraus - er hatte denselben Schnauz wie der Führer -, ich fragte ihn, ob ich die Platte abspielen dürfte. Ich fragte ihn auf Englisch, denn ich erfuhr, er war Engländer. Ich redete noch ein wenig mit ihm und ich fragte ihn auch, ob er mit seinem Onkel Kontakt pflege. Er wurde von ihm aber nur einmal empfangen, denn Adolf Hitler verkehrte kaum mit seiner Verwandtschaft. Patrick Hitler war Ingenieur bei Opel in Berlin.
Jahre später verkündeten französische Zeitungen, Patrick Hitler, der Neffe des Führers, fliege jetzt bei der britischen Royal Air Force Luftangriffe gegen Ziele in Deutschland!"

Von Repressionen seitens der Nazis verschont. Die Lanigiro im Café Heinze, März/April 1937. V.l.n.r: Schmassmann, Bandini, Kirbach, Thöni, Cova, Beuret, Zinsstag, Berry?, Landsrath, ?.
An dieser Stelle sollten die Engagements der Lanigiro Hot Players vom März und April und November bis Mitte Dezember 1937 in Hamburg, im Casino Café Heinze, beim Millerntor in Hamburg-St. Pauli erwähnt werden. Das Orchester konnte hier ohne nennenswerte Beeinträchtigungen arbeiten.

Roger Beuret: "In Hamburg war viel los und wir hatten auch guten Erfolg, vor allen Dingen hatten wir dort keine Probleme mit den Nazi-Brüdern gekriegt."

Offenbar herrschte im grossdeutschen Reich nicht überall dieselbe vergiftete Stimmung wie in der Reichshauptadt. Hier einige Auszüge aus Hamburgs Tagespresse:

"Hamburger Nachrichten" vom 8. März 1937: "Die neun lustigen Musiker verbinden ein natürliches Temperament mit hoher Musikalität und strotzen von übermütigen Einfällen, so dass der Besucher auf jede Weise auf seine Kosten kommt."

"Hamburger Anzeiger", 17. März 1937: "Ein sicherer Instinkt für melodiöse und rhythmische Wirkungen verbindet sich bei den neun Solisten dieser Kapelle mit einem natürlichen Humor, den sie oft und gar zu gern in kapriziösem Übermut die Zügel schiessen lassen."

"Hamburger Fremdenblatt", 18. März 1937: "Das sind neun junge Musiker aus der Schweiz, die jeder eine Handvoll Instrumente virtuos beherrschen und aufs meisterliche den neuen Stil in der künstlerischen Unterhaltungsmusik beherrschen."

"Hamburger Nachrichten", 17. April 1937: "Sie spielen in dieser Gaststätte seit dem März. Ihre Verpflichtung musste verlängert werden, weil sie etwas Aussergewöhnliches bieten, was über den üblichen Rahmen einer Kaffeehaus-Kapelle hinausgeht: die Besucher, die sie abendlich hören, haben verlangt, dass sie noch weiter bleiben."

Roger Beuret in action. Bericht aus "Sie & Er", 9/1937.
Roger Beuret geht ...
Hans Koerfgen hat es bereits vorweggenommen, als er sagte: "Im Laufe der Zeit hatten einige Leute eine Familie und wollten nicht mehr alles mitmachen." Nach dem Abschluss des Engagements in Hamburg trat der Mitbegründer der Lanigiro, Roger Beuret, aus dem Orchester aus. Nicht ganz aus eigenem Willen, wie er sagt, dieser Entschluss wurde ihm vom Vater seiner Braut buchstäblich abgerungen.

Roger Beuret: "Als ich meine Frau kennen lernte, habe ich schon gemerkt, dass mein künftiger Schwiegervater von mir, da ich Musiker war, immer nur als vom 'Zigeuner' sprach. Meine künftige Frau stand jedoch zu mir, und auch ihre Mutter hielt klar zu ihrer Tochter. Der Vater hingegen war absolut gegen unsere Verbindung. Das änderte sich erst, als ich mit der Musik aufhörte und meinen ursprünglichen kaufmännischen Beruf wieder ergriff. Dann kam es zur Verlobung mit anschliessender Heirat. Später kam ich mit meinem Schwiegervater sehr gut aus, und heute kann ich seine Haltung teilweise sogar verstehen!"

Candle light music im Hotel Tschuggen, Arosa, 1938. V.l.n.r: Layat, Berry, Landsrath.
Im Anschluss an das Hamburger Engagement gingen die Lanigiro - die sich inzwischen ihres Anhängels "Hot Players" entledigt hatten - in die Wintersaison ins Hotel Tschuggen in Arosa. Am Schlagzeug sass jetzt Billy White, ein Veteran, der in Wirklichkeit William Belajeff hiess. Er war um Jahre älter als die restlichen Lanigiroaner und wirkte zuvor als Drummer und Frontmann in namhaften Bands, so u.a. mit Bob Engel und mit den Magnolians, mit.

Im Anschluss an die Wintersaison 1937-38 spielten die Lanigiro zuerst in Zürich, Bern und Biel. In Bern konnten sie verschiedentlich auch beim Radio auftreten. Im Juli und August 1938 waren sie wiederum im Casino in Knokke als Hausorchester engagiert.
Die Besetzung des Orchesters hatte sich durch Zuzug von Ersatzmusikern wie folgt geändert: Jacques Pilet und Hans Berry (tp), Willy Berking (tb), René Schmassmann, Wolf Kirbach, Bruno Bandini und ...Truck (sax), Maurice Rosenberg (g), Werner Thöni (p,arr), Guido Cova (b,vo), Dolf Zryd (d) und Phillys Heymans (vo).

Eric Landsrath und Dolf Zinsstag kehrten erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder ins Orchester zurück.

Mit zusätzlichem Charme. Phyllis Heymans mit den Lanigiro in der Sommersaison 1938 in Knokke. V.l.n.r: Thöni, Cova, Heymans, Zryd, Schmassmann, Rosenberg, Kirbach, Pilet, Bandini, Berry, Berking, Truck.
Bis zur anschliessenden Wintersaison im Palace Hotel in Wengen spielten die Lanigiro unter anderem in Basel und Lausanne, dann ab März 1939 in Zürich und Bern.
Im Mai 1939 konnten sie mit einer auf 16 Mann erweiterten Besetzung an der Schweizerischen Landesausstellung ("Landi") auftreten; und Mitte Juni 1939 ging es mit 9 Mann ab in die inzwischen vierte Saison nach Knokke in Belgien.
Die Besetzung des Orchesters im Jahr 1939 in Knokke bestand aus: Eric Landsrath, Hans Berry (tp), Julian Layat (tb), Rene Schmassmann, Bruno Bandini und ein unbekannter Belgier (sax), Werner Thöni (p), Guido Cova (b) und Billy White (d).

Es begann im September ...
Die politische Situation verschlechterte sich laufend; die Frage hiess: kommt es zu einem Krieg oder nicht? Der Unsicherheit wegen blieben die zahlungskräftigen Gäste dem Casino in Knokke fern. Die Direktion sah sich deshalb gezwungen, die bestehenden Verträge vorzeitig aufzukünden. Noch vor Ablauf des Engagements reisten die Musiker der Lanigiro wieder in die Heimat.

René Schmassmann: "Wir reisten aus Belgien in die Schweiz zurück. In Basel angekommen, sah ich ein Mobilmachungsplakat hängen. Zuerst wühlte ich im Kleiderfutter nach meinem Dienstbüchlein, um nachzusehen, ob das Aufgebot auch mich betreffe. Dem war leider so. Daraufhin rückte ich in Zivil in Davos ein, meine Ausrüstung war in der Zwischenzeit in Chur deponiert.
Von diesem Zeitpunkt an habe ich jeglichen Kontakt zu meinen Kollegen verloren, denn vom September bis Dezember 1939 war ich ununterbrochen im Militärdienst.
Dann bekam ich einen längeren Urlaub. Meinen Platz bei den Lanigiro hatte inzwischen ein anderer eingenommen. Deshalb übernahm ich am 30. Dezember 1939 eine bereits bestehende Kapelle mit einigen in der Schweiz niedergelassenen Italienern und spielte mit ihnen im Kursaal in Bern, in Luzern, Montreux, Interlaken usw. Ich wusste, dass für mich jetzt eine andere Zeit gekommen ist".

Bruno Bandini: "Wir spielten im Frühjahr 1939 an der Landi in Zürich in einer 16-Mann-Grossbesetzung. Für September und Oktober hatten wir ein Re-Engagement in Aussicht. In der Zwischenzeit löste uns Teddy Stauffer mit seiner Band ab und wir verreisten mit neun Mann nach Belgien. Dort herrschte aber keine sonderlich gute Stimmung. Es gäbe Krieg, hiess es. Es hatte fast keine Gäste mehr im Casino und wir wurden am Schluss fast hinausgeworfen. Darum gingen wir einige Tage früher von dort weg. Als wir in Basel ankamen, war General-Mobilmachung und unsere Band fiel auseinander. Von der Grossbesetzung vom Frühjahr blieben gerade noch vier Mann übrig: Thöni, Kirbach, Koerfgen und ich. Da schlossen wir uns Teddy Stauffer an, der auch Leute verloren hatte. Damit konnten wir den Vertrag bei der Landi einhalten. Zwei von uns spielten Violine. Wir fragten Stauffer, was wir denn überhaupt spielen sollten? Teddy meinte: 'Spielt keine Rolle, wir machen genügend Lärm für alle.' Das Engagement dauerte insgesamt etwa sechs Wochen.
Dann suchte ich ein paar Leute zusammen für ein kurzes Engagement im "Odeon" in Basel. Mit dabei waren der farbige Altsaxofonist Glyn Paque, Eric Landsrath, Remy Realini und Werner Thöni."

Bruno Bandini und Phillys Heymans.
Im Dezember 1939 waren die Lanigiro neu auferstanden. In stark veränderter Besetzung und jetzt definitiv unter der Leitung von Bruno Bandini stehend, hatten sie einen Auftrag für zahlreiche Radiosendungen.
Wurde René Schmassmann, währenddem er seine vaterländischen Verpflichtungen wahrnahm, bei den Lanigiro ausgebootet? War Schmassmann, der ab Mitte der dreissiger Jahre als Quasi-Leader den Lanigiro vorstand, seinen ehemaligen Kollegen allmählich zur Last gefallen? Auf diese Fragen gibt es unterschiedliche Antworten. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst beschritt Schmassmann jedenfalls konsequent seinen eigenen musikalischen Weg.










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